Predig am 13. April 2025, P(s)almsonntag, in der Erlöserkirche

 

PREDIGTTEXT – JESAJA 50,4-10:

4Gott der Herr hat mir die Zunge eines Schülers gegeben,
damit ich den Müden zu helfen weiß mit einem Wort.
Er weckt auf, Morgen für Morgen weckt er mir das Ohr,
damit ich höre wie ein Schüler.
5Gott der Herr hat mir das Ohr aufgetan,
und ich bin nicht widerspenstig gewesen,
bin nicht zurückgewichen.
6Denen, die schlugen, habe ich meinen Rücken dargeboten,
und meine Wangen denen, die mich an den Haaren rissen,
gegen Schmähungen und Speichel habe ich mein Angesicht nicht verdeckt.
7Gott der Herr aber steht mir bei!
Darum bin ich nicht zuschanden geworden.
Darum habe ich mein Angesicht wie Kieselstein gemacht,
ich wusste, dass ich nicht in Schande geraten würde.
8Er, der mir Recht schafft, ist nahe!
Wer will mit mir streiten? Lasst uns zusammen hintreten!
Wer ist Herr über mein Recht? Er soll zu mir kommen!
9Seht, Gott der Herr steht mir bei,
wer ist es, der mich schuldig sprechen will?
Seht, wie ein Gewand zerfallen sie alle,
Motten fressen sie.
10Wer unter euch fürchtet den Herrn,
hört auf die Stimme seines Dieners?
Wer in der Finsternis geht
und wem kein Lichtstrahl scheint,
der vertraue auf den Namen des Herrn
und stütze sich auf seinen Gott!“
Amen
.

PREDIGT

Liebe Gemeinde,

der Text, den wir eben gehört haben, der ist Teil einer Unterkategorie des Jesaja-Buches. Er gehört zu einer Vierergruppe von Texten, die man „Gottesknechtlieder“ nennt, auch wenn sich der Liedcharakter nicht so recht erschließen mag.

Die christliche Tradition, beginnend mit der Auslegung jüdischer Texte im Neuen Testament (bei den Evangelisten oder Paulus) hat diese vier Lieder auf Jesus hin gelesen und verstanden – er ist der Gottesknecht, dem all das widerfährt, was dort und hier geschildert wird. Die wissenschaftliche Theologie hat gewisse Zweifel an der historisch-kritischen Haltbarkeit dieser Zuschreibung formuliert, so dass seit langer Zeit ein ziemliches Rätselraten um die Frage stattfindet, wer der „Sprecher“ in diesen Liedern eigentlich ist oder auf wen hin sie verfasst wurden und zu verstehen sind.

All das soll uns heute nicht weiter beschäftigen und sei nur als hinweisende Einleitung verstanden.

Denn, in der Vorbereitung auf die Predigt, da hat mich beim Lesen dieser Verse ein Begriff sofort angesprungen, der mir anschlussfähiger, verwertbarer, nutz- und vielleicht sogar umsetzbarer erscheint als dieser doch so sperrige Ausdruck des „Gottesknechts“.

Er steht ganz am Beginn dieses Abschnitts: Der „Schüler“: Von der „Zunge eines Schülers“ ist da die Rede, und dann vom „Hören, wie ein Schüler“.

Eine Anleitung zum „Schüler-Sein“ – so kann man dieses dritte Gottesknechtlied vielleicht auch verstehen. Zum Schüler-Sein nicht gegenüber einem weltlichen Lehrer, sondern natürlich gegenüber Gott.

Schüler-Gottes-Sein. Etwas, das wohl anschlussfähiger, verständlicher ist. Das uns unmittelbar angeht, weil es doch etwas sein kann – ja, sein muss – wovon auch wir wollen, dass wir es sind. Wollen wir nicht auch Schülerinnen und Schüler Gottes sein?

Und will das nicht auch die Heilige Schrift von uns?

Der Titel unseres heutigen Gottesdienstes ist ja „Psalmsonntag“. Und dieses Anliegen des „Schüler-Seins“, das findet sich genau hier auch.

In den Psalmen. Ganz zu Beginn, in Psalm 1,1 heißt es: „Wohl dem, der nicht dem Rat der Frevler folgt und nicht auf den Weg der Sünder tritt, noch sitzt im Kreis der Spötter, sondern seine Lust hat an der Weisung des HERRN und sinnt über seiner Weisung Tag und Nacht.“

Das ist ein Schüler sein, ein Schüler Gottes sein – wie es in den Psalmen verstanden wird.

Eine Überschrift über alles, was wir in den Psalmen danach so lesen und hören oder eben auch singen. Die Voraussetzung, die Grundlage dafür. Der Grund, auf dem alles Weitere gebaut wird ist eben dieses Verständnis der Existenz eines frommen, gläubigen Menschen – eines Menschen, der nachsinnt, nachdenkt, nachfragt – alles, was man sich von Schülerinnen und Schülern so wünscht (manchmal vergebens, das wissen alle, die in Schulen arbeiten…)

So gesehen überschneiden sich die Anliegen des Predigttextes, das, was wir hier bei Jesaja lesen und worüber wir noch nachdenken wollen, mit dem, wovon die Psalmen als Grundlage ausgehen und natürlich auch mit dem, was Jesus denen, die ihm nachfolgen nicht nur ans Herzen liegt und empfiehlt, sondern eben auch zumutet und anordnet.

Wenn wir uns noch einmal dem Predigttext, dem Gottesknechtlied, zuwenden, dann finden wir dort eine Anleitung dafür, wie das geht – dieses Schülersein.

Nämlich zwei Dinge, die man tut und eine Haltung, die man einnimmt. Schauen wir uns das ein bisschen genauer an, überlegen, was das für uns bedeuten kann.

I. Schüler Gottes sein – im Sprechen

„Gott der Herr hat mir die Zunge eines Schülers gegeben, damit ich den Müden zu helfen weiß mit einem Wort.“ – so beginnt unser Abschnitt in Vers 4.

Das Reden, das Sprechen, das kommt zuerst. Ein Schüler Gottes, der spricht, der redet.

Hier mit einem klaren Gegenüber, einem deutlichen Adressaten dieses Redens – die „Müden“, das sind weniger die körperlich Erschöpften, als mehr die, die keine Hoffnung mehr haben, keine Aussicht auf Besserung von Umständen, Linderung von Schmerzen oder Überwindung von Ungerechtigkeit.

Ihnen soll der Schüler zureden, helfen, gute Worte zusagen. Ihnen, den „Müden“ gilt das Wirken der Schülerzunge.

Das Reden kommt hier vor dem Hören.

In den meisten anderen Zusammenhängen ist’s andersherum gescheiter. Erst zuhören, dann erst den Mund aufmachen. Hier geht’s zuerst um das Reden, um das Nutzen der Zunge.

Ich muss dabei an ein Phänomen denken, dass mir immer wieder begegnet: Menschen die neu zum Glauben kommen oder ihren Glauben wieder neu entdecken, die haben oft ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis. Reden, erzählen, ja verkünden viel von ihrem Glauben.

Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass das manchmal theologisch nicht ganz zu Ende gedacht ist, nicht dem entspricht, was nach den Lehren und Bekenntnissen der Kirchen vielleicht richtig und wahr ist. So wie ja auch Schüler manchmal Dinge sagen, die nicht stimmen – aber die Schülerzunge, diese Gabe des Herren, die redet eben einfach (auch ohne Aufzeigen).

Wäre das nicht auch etwas, was uns öfters mal gut täte? Im Leben, im Glauben, in der Gemeinde, in der Welt? Einfach mal drauflos zu reden, zu sprechen – mit den Müden, aber auch mit allen Andere. Einfach von unserem Glauben zu erzählen, zu berichten. Ohne sich Gedanken zu machen, ob das jetzt alles nach den Buchstaben reformierter Dogmatik auch ganz richtig ist.

Gelebter Glaube, das ist doch immer auch weitergegebener, weitererzählter Glaube. Mit einer „Schülerzunge“ weitererzählt, nicht nur mit der eines Lehrers, Pfarrers oder Universitätsprofessors. Vom Glauben erzählen – das ist unser aller Aufgabe, nichts was nur am Sonntag in 20 Minuten von einem im schwarzen Talar gemacht werden soll oder gar nur diesem erlaubt ist.

II. Schüler Gottes sein – im Hören

Auch wenn das Sprechen, das Reden, das Nutzen der Zunge zuerst steht, auch das Hören ist etwas, was wir tun sollen.

Bei Jesaja (V5f.) heißt es: „Er weckt auf, Morgen für Morgen weckt er mir das Ohr, damit ich höre wie ein Schüler. Gott der Herr hat mir das Ohr aufgetan, und ich bin nicht widerspenstig gewesen, bin nicht zurückgewichen.“

Dieses Hören das ergänzt das Reden notwendigerweise. Ein Schüler der immer nur quatscht, der erfährt nie Neues, lernt nichts, was er nicht eh schon weiß, ventiliert immer nur bereits Gesagtes oder Selbsterdachtes, kreist nur um sich selber.

Echtes Reden kennt das Hören auch. Echtes Sprechen weiß, wann es zu schweigen gilt und eine echte Schülerzunge ist auch mal ruhig.

Dann gilt es das Ohr aufzutun. Auf Gott zu hören. Auf sein Wort, auf seinen Willen, auf das, was er jedem und jeder von uns sagen will – immer wieder neu und immer wieder ganz persönlich.

Wie ein Schüler hören – das heißt hier, im Kontext des „Gottesknechtliedes“, auch die Dinge hören, die vielleicht nicht ganz so angenehm sind. Die Dinge hören und wahrnehmen, die herausfordernd sind, vielleicht sogar schmerzhaft, die nicht dem entsprechen, was wir gerne immer hören würden.

Das bezieht sich auf das Hören Gottes – aber auch auf was, was wir in unserem Umfeld, sei es kirchlich oder außerhalb der Kirche, so hören. Hören, das heißt gerade dann auch hinhören, wo wir vielleicht eigentlich lieber weghören würden.

Aber Gott tut die Ohren auf – und die sind zum Hören da! Auf das Wort Gottes und Aufeinander.

III. Die Haltung eines Schülers

Zum Reden und Hören, zum Auftun von Mund und Ohren, da gehört noch etwas dazu oder ergibt sich eigentlich daraus: eine gewisse Haltung.

Hier im Gottesknechtlied, da wird viel vom Leiden berichtet – und in den kommenden Tagen, besonders am Karfreitag, da werden wir auch über das Leiden nachdenken – vom Erdulden ist hier die Rede, von Angriffen und Schmähungen, Beleidigungen und Verletzungen.

All das passiert auch uns in unserem Leben. Vielleicht im Zusammenhang mit unserem Glauben, vielleicht mit anderen Dingen.

Kein Leben besteht nur aus Wertschätzung, Lob und Anerkennung.

Es gibt immer Zeiten der Anfechtung, der Angriffe, der Konflikte.

Zeiten, in denen etwas zu bedenken und anzuwenden ist, was hier mit einem etwas eigentümlichen Bild geschildert wird.

„Darum habe ich mein Angesicht wie Kieselstein gemacht“ – heißt es, für eine solche Situation.

Das Gesicht hart machen – das scheint mit allem zu brechen, was wir als Christen ansonsten zu leben versuchen.

Aber es meint hier keine Härte gegenüber den Nächsten, keine Ignoranz gegenüber den Bedürftigen und kein Abwenden von denen, die zuvor die „Müden“ genannt werden.

Es meint Resistenz gegen Angriffe auf einen selber. Widerstandfähigkeit dagegen, wenn es gegen einen selber geht. Auch Selbstschutz.

Ein eigentlich moderner Ansatz, dieses „kieselharte Angesicht“.

Und etwas, was dazu gehört, zu einem echten Schüler-Sein.

Grenzen kennen, Grenzen auch aufzeigen, sich selber schützen, sich nicht alles immer nur ganz nahe gehen lassen.

Im Vertrauen auf Gott – denn das steht hier immer dahinter, das Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit.

In diesem Vertrauen darf man auch einmal „kieselhart“ sein. Im selbstbewussten Vertrauen auf Gottes Rechtsspruch – selbstbewusst, so klingen doch die Worte, die wir hören – obwohl sie im Zusammenhang mit Angriffen und Nachstellungen geschrieben sind.

„Er, der mir Recht schafft, ist nahe!“ oder „Seht, Gott der Herr steht mir bei“ und zuletzt, als Abschluss unseres Abschnitts: „Wer in der Finsternis geht und wem kein Lichtstrahl scheint, der vertraue auf den Namen des Herrn und stütze sich auf seinen Gott!“ – klingt fast wie Psalm 23.

Eine Schülerin Gottes, ein Schüler Gottes redet offen und frei heraus mit den Müden und über den Glauben, hört auf das Wort Gottes und auf die Worte der Menschen, weiß sich selbst zu schützen im Erdulden und vertraut in allem auf Gott, seine Nähe, seine Gerechtigkeit, seinen Beistand.

Gebe Gott, dass uns allen das gelingt. Und dass wir nie aufhören, Lernende im Glauben zu sein.

Amen.

Leopold Potyka