Foto: Franz Radner

 

Gedenkveranstaltung anlässlich der Progromnacht und der Zerstörung der Vereinssynagoge am Humboldtplatz 2021

Am Montag, dem 8. November 2021 luden Bezirksvorsteher Marcus Franz und die Interreligiöse Dialoggruppe Favoriten zur Gedenkveranstaltung anlässlich der Pogromnacht und der Zerstörung der Vereinssynagoge am Humboldtplatz 1938 ein.


Teilnehmer:
• Begrüßung durch Bezirksvorsteher Marcus FRANZ
• Oberkantor Shmuel Barzilai
• Axel Schacht – Verein _erinnern.at_ Nationalsozialismus und Holocaust: Gedächtnis und Gegenwart
• Andreas Peham – Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes
• Pfarrer Johannes Wittich
• Imam Ibrahim Olgun
• Musik Bahá´í Gemeinde Favoriten

Foto: Franz Radner

 

Die Novemberpogrome 1938 – bezogen auf die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 waren vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im gesamten Deutschen Reich.
Dabei wurden vom 7. bis 13. November 1938 etwa 400 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben. Über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Ab dem 10. November wurden ungefähr 30.000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, von denen Hunderte ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben. Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden seit 1933 zur systematischen Verfolgung.

 

Quelle: MA17

 

Niemals vergessen! (Bezirksvorsteher Marcus Franz)

Vor 83 Jahren, in der Pogromnacht von 9. auf 10. November 1938, wurde in Favoriten der Humboldt-Tempel am Humboldt-Platz von NS-Schergen niedergebrannt. In ganz Wien wurden Synagogen, jüdische Geschäfte, Wohnungen und Gebetsräume zerstört und geplündert – es gab Tote und Verletzte. Sich an die schrecklichen Ereignisse der Vernichtung von jüdischem Leben und jüdischer Kultur zu erinnern, ist auch heute wichtig, weil die systematische Zerstörung und die Gewalt nicht plötzlich über Nacht entstanden sind, sondern gezielt geschürt wurden. Um der Spaltung, die auch in diesen Zeiten wieder stärker spürbar wird, mehr Gemeinsamkeit entgegen zu setzen, habe ich mit der interreligiösen Dialoggruppe Favoriten zum gemeinsamen Pogromgedenken aller Religionsgemeinschaften eingeladen, bei dem auch politischen Vertreter*innen und Vertreter*innen von thematisch damit befassten Vereinen am Humboldt-Denkmal zugegen waren. (gekürzt)


Foto: Franz Radner

Worte von Pfr. Johannes Wittich, Evangelisch-Reformierte Pfarrgemeinde H.B. Wien-Süd

Psalm 133:
1 Ein Wallfahrtslied. Von David.
Sieh, wie gut und schön ist es,
wenn Brüder beieinander wohnen.
2 Wie das köstliche Öl auf dem Haupt,
das herabrinnt in den Bart,
in den Bart Aarons,
der herabwallt auf den Saum seiner Gewänder.
3 Wie der Tau des Hermon, der herabfällt
auf die Berge Zions.
Denn dort gewährt der Herr den Segen,
Leben bis in Ewigkeit.

Liebe zum Gedenken Versammelte!

„Sieh wie gut und schön ist es, wenn Brüder – ich ergänze: und Schwestern – beieinander wohnen.“
Ein Satz, wie gesagt, aus dem Buch der Psalmen, einer Sammlung von Gebetsliedern in den heiligen Schriften des Judentums. Im Christentum gilt dieses Buch der Psalmen als Vorbild, wie in unserem Gottesdienst gebetet und gesungen werden kann. Johannes Calvin, der Reformator der Kirche, aus der ich komme, war sogar der Meinung, dass im christlichen Ritus, in der christlichen Liturgie nur und ausschließlich nach dem Vorbild der Psalmen gebetet werden soll. Mit anderen Worten: ein christliches Gebet, so seine Meinung, ist nur dann richtig, wenn es sich am jüdischen Vorbild orientiert.

Warum ich das sage? Weil wir heute an einem Ort stehen, der uns an die schreckliche Ereignisse aus dem November 1938 erinnert, bei denen Christen, oder aus der christlichen Tradition kommende Menschen genau das Gegenteil davon gemacht haben, was ihnen ihr Glaube eigentlich gebietet: dem jüdischen Glauben Wertschätzung und Dankbarkeit entgegen zu bringen für das, was heute, aus dem Judentum kommend, auch Grundlage des christlichen Glaubens ist.

Im interreligiösen Dialog hier in Favoriten versuchen wir seit gut einem Jahrzehnt voneinander zu lernen, Vielfalt, besonders religiöse Vielfalt, als Bereicherung zu sehen. Das schließt auch aus, den eigenen Glauben, so wichtig er einem persönlich oder als Gemeinschaft sein mag, über den Glauben Anderer zu stellen.

An diesem Ort hier, und an vielen anderen Orten im damaligen „deutschen Reich“ haben auch Christinnen und Christen, die sich nicht direkt an den Gräueln beteiligt haben, Schuld auf sich geladen. In der Erklärung „Zeit zur Umkehr“ der evangelischen Kirchen in Österreich aus dem Jahr 1998 wird, in Einklang mit der katholischen Kirche bekannt: „Mit Scham stellen wir fest, dass sich unsere Kirchen für das Schicksal der Juden und ungezählter anderer Verfolgter unempfindlich zeigten. … (sie) haben gegen sichtbares Unrecht nicht protestiert, sie haben geschwiegen und weggeschaut, … Deshalb sind nicht nur einzelne Christinnen und Christen, sondern auch unsere Kirchen an der Schoah mitschuldig geworden.“

Wir sind uns im Interreligiösen Dialog in Favoriten bewusst, dass Religion Ursache für entsetzliches Leid sein kann. Christlicher Antisemitismus, oder islamistischer Terror sind Beispiele dafür. Wir sind uns dieser Last bewusst, wissen aber auch gleichzeitig um die starken und inspirierenden Bilder, die in unseren jeweiligen religiösen Traditionen den Weg zu einem guten Miteinander der Menschen zeigen wollen: Schalom, Salaam, Friede …
Bilder wie das aus dem 133. Psalm: gut und schön ist es, wenn Menschen, die sich als Brüder und Schwestern verstehen, beieinander wohnen. Dass Menschen so miteinander umgehen, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
In diesem Augenblick versuchen wir das ein wenig zu leben. Die Geschichte um das Gebäude der Vereinssynagoge, an dessen Zerstörung wir heute denken, ist auch so ein religionsverbindendes Statement. Entworfen wurde sie vom jüdischen Architekten Jakob Gartner, der auch einige andere Synagogen errichtet hat. Nicht nur das – auch das „Kaiserin Elisabeth-Wöchnerinnenheim“ in der Knöllgasse stammt von ihm. Und dort hat heute Privatgymnasium „Phönix“ sein Zuhause – eine muslimische Gründung.

Ein friedliches Miteinander verschiedener Religionen, nicht nur eine Vision, sondern eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

 

Bilder

(Franz Radner)