Foto: Erlöserkirche

 

 

Reformationsgottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 31. Oktober 2021
mit Pfr. Johannes Wittich mit AM

Präludium: Juliane Schleehahn: Allegro moderato maestoso (in Auszügen) von Felix Mendelsson-Bartholdy (1809 – 1847)

Lied: Evangelisches Gesangbuch 440, 1 – 4: All Morgen ist ganz frisch und neu

1) All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad und große Treu;
sie hat kein End den langen Tag,
drauf jeder sich verlassen mag.

2) O Gott, du schöner Morgenstern,
gib uns, was wir von dir begehrn:
Zünd deine Lichter in uns an,
lass uns an Gnad kein Mangel han.

3) Treib aus, o Licht, all Finsternis,
behüt uns, Herr, vor Ärgernis,
vor Blindheit und vor aller Schand
und reich uns Tag und Nacht dein Hand,

4) zu wandeln als am lichten Tag,
damit, was immer sich zutrag,
wir stehn im Glauben bis ans End
und bleiben von dir ungetrennt.

Spruch: 1. Kor 3,11:

Denn ein anderes Fundament kann niemand legen als das, welches gelegt ist: Jesus Christus.

Begrüßung:

Willkommen zum Gottesdienst am Reformationstag. Vor über 500 Jahren ist die Kirche aufgerüttelt worden durch mutige Menschen. Seitdem gehen die Evangelischen ihren Weg durch die Zeit: Mal voller Hoffnung, mal sorgenvoll, mal im Bewusstsein, dass Vieles noch lange nicht so ist, wie es sein sollte, aber dann aber doch wieder ermutigt durch die Zusage der Vergebung, die Zusage eines ständigen Neuanfangs, einer ständigen Reformation.

Wir haben ein festes Fundament für unseren Glauben, und das kann uns nichts und niemand nehmen. Wann immer diese Sicherheit ins Wanken gerät, und das kann passieren, können wir sie wieder nähren, im gemeinsamen Beten, Hören, Singen, wenn wir miteinander feiern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Gebet:

Du Gott des Lebens!
Allein durch den Glauben werden wir gerettet.
Es braucht nur Vertrauen, Vertrauen auf dich.
Wie oft fällt es uns schwer,
zu glauben, zu vertrauen, zu hoffen.
Gehst du wirklich mit uns durch unser Leben?
Wir sind doch gefangen in den Ängsten unserer Zeit.
Gib du uns nicht auf,
zeige uns deine Gegenwart,
lass uns frei werden für dich.
Dann spüren wir eine Wärme in uns,
die uns befreit aufatmen lässt.
Du bist da mit deiner Liebe
und füllst unsere Herzen mit Hoffnung und Trost.
Im Wandel der Zeiten bleibst du der,
der uns liebt!
Dafür danken wir dir und bitten dich:
Hilf uns, dich nicht zu übersehen
in der Fülle unserer Tage.
Hilf uns, dich nicht zu überhören
im Lärm unserer Zeit.
Wir brauchen deine Nähe!
Wir brauchen dein Wort!
Rede mit uns!
Sei jetzt da,
in unserer Mitte.
Amen.

(nach Silke Eva Schmidt)

Lied: Evangelisches Gesangbuch 342, 1 – 3: Es ist das Heil uns kommen her

1) Es ist das Heil uns kommen her
von Gnad und lauter Güte;
die Werk, die helfen nimmermehr,
sie können nicht behüten.
Der Glaub sieht Jesus Christus an,
der hat für uns genug getan,
er ist der Mittler worden.

2) Was Gott im G’setz geboten hat,
da man es nicht konnt halten,
erhob sich Zorn und große Not
vor Gott so mannigfalten;
vom Fleisch wollt nicht heraus der Geist,
vom G’setz erfordert allermeist;
es war mit uns verloren.

3) Doch musst das G’setz erfüllet sein,
sonst wärn wir all verdorben.
Drum schickt Gott seinen Sohn herein,
der selber Mensch ist worden;
das ganz Gesetz hat er erfüllt,
damit seins Vaters Zorn gestillt,
der über uns ging alle.

Predigt: Galater 5, 1 – 6

1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Steht also fest und lasst euch nicht wieder in das Joch der Knechtschaft einspannen. 2 Seht, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, wird Christus euch nichts nützen. 3 Ich bezeuge nochmals jedem Menschen, der sich beschneiden lässt, dass er verpflichtet ist, alles, was das Gesetz verlangt, zu tun. 4 Ihr, die ihr im Gesetz Gerechtigkeit finden wollt, habt euch von Christus losgesagt, aus der Gnade seid ihr herausgefallen! 5 Denn im Geist und aus Glauben warten wir auf die Erfüllung unserer Hoffnung: die Gerechtigkeit. 6 In Christus Jesus gilt ja weder Beschnittensein noch Unbeschnittensein, sondern allein der Glaube, der sich durch die Liebe als wirksam erweist.

Liebe Gemeinde!

Sechshundertdreizehn. Das ist die Zahl der Gebote und Verbote der jüdischen Tora, die wir in unsere Bibel als „Altes Testament“ übernommen haben. 365 Verbote und 248 Gebote, darunter die uns bekannten zehn wichtigsten, aber auch Speisevorschriften, Verhaltensregeln, Bestimmungen darüber, was „rein“, also koscher ist, dazu Vorgaben für die Feier des Gottesdienstes und vieles mehr.

Sechshundertdreizehn. Eine beachtliche Zahl. So viele Gebote einzuhalten, das muss man erst einmal schaffen. Fromme, orthodoxe Jüdinnen und Juden tun das, bis heute. Sie nehmen die Gebote ernst; ihr Alltag richtet sich ganz nach der Thora aus, ist dadurch sozusagen durchdrungen von Gott. „Gott ist immer da“, das ist auch unser Glaube. Wenn aber im jüdischen Alltag ganz bewusst bei jedem Schritt, den man setzt, über das nachgedacht wird, wie es Gott haben möchte, wie sein Wille sich jetzt in diesem Moment erfüllt werden kann, dann entsteht eine ganz besondere Nähe zu Gott. Eine Nähe, die wohl über das hinaus geht, wie wir es praktizieren, also im Nachdenken über Gott in einzelnen, besonderen andächtigen Momenten, aber eben nicht immer und überall.

Sechshundertdreizehn. Auch Jesus hat all diese Gebote eingehalten. Eine Selbstverständlichkeit für ihn als Jude. In seiner Bergpredigt, im Matthäus-evangelium, stellt er dann auch unzweideutig klar: die Gebote gelten auch weiterhin. Sie sind für ihn, den Juden, alternativlos. Jesus dazu wörtlich: „Denn, amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, soll vom Gesetz nicht ein einziges Jota oder ein einziges Häkchen vergehen, bis alles geschieht. 19Wer also auch nur eines dieser Gebote auflöst, und sei es das kleinste, und die Menschen so lehrt, der wird der Geringste sein im Himmelreich. Wer aber tut, was das Gebot verlangt, und so lehrt, der wird gross sein im Himmelreich.“ (Mt. 5, 18-19).

Die Gebote gelten. Punktum. Schwer verdauliche Kost für uns, würde ich sagen, gerade am Reformationstag. Denn wie haben wir gerade im Lied gesungen: „Was Gott im G’setz geboten hat, da man es nicht konnt halten, erhob sich Zorn und große Not, vor Gott so manigfalten.“ Eine ganz andere Vorstellung von den Geboten. Allerdings Kernbotschaft der Reformation, Grunderkenntnis Martin Luthers: die Gebote retten uns nicht, können uns nicht retten. Wir erkennen in den Geboten unsere Unvollkommenheit, unsere Erlösungsbedürftigkeit. Das öffnet uns die Augen für die Gnade Gottes. Und im Vertrauen auf die Gnade finden wir Erlösung.

Eine wunderbare Erkenntnis, die im 16. Jahrhundert nicht nur die Christenheit herausgefordert, sondern seither die ganze Welt verändert hat. Dadurch, dass Menschen Angst genommen, die Augen für eine neue Freiheit geöffnet wurde. Gottgeschenkte Freiheit, die dann das Wohl der Mitmenschen sucht.

Das kennen und wissen wir Alles als Evangelische. Sind dankbar dafür, freuen uns darüber, leben aus diesem Glauben, handeln aus ihm. Achten darauf, nicht wieder in alte, „gesetzliche“ Muster zu verfallen, in Versuche, sich selbst zu erlösen, durch Leistung, Prinzipientreue und Konsequenz. Durch einen sprichwörtlich „gnadenlosen“ Umgang mit sich selbst. Den auch Paulus in seinem Brief an die Galater kritisiert: „Ihr, die ihr im Gesetz Gerechtigkeit finden wollt, habt euch von Christus losgesagt, aus der Gnade seid ihr herausgefallen!“ (V.4.)

Paulus war allerdings auch Jude, ursprünglich sogar ein besonders frommer. Und gerne einmal hat er in der Geschichte der Christenheit als Kronzeuge dafür herhalten müssen, wie überholt das Judentum und wie zukunftsweisend das Christentum ist, einschließlich aller daraus folgenden grauslicher Denk- und Verhaltensweisen Jüdinnen und Juden gegenüber.

Ich denke, auch das gehört am Reformationsfest angesprochen. Dass gerade in der Geburtsstunde unserer protestantischen Kirchen der jüdische Glaube gerne einmal als negativer Kontrast herhalten musste, um dann den neuen reformatorischen Glauben besonders zum Leuchten zu bringen. Der jüdische Glaube, oder besser: das, was man sich als „jüdischen Glauben“ zusammengebastelt hat, um selbst dann besser da zu stehen.

Das ist ja ein ganz grundsätzlich problematisches Phänomen: wenn ich nur durch Kritik am Judentum erklären kann, was christlich ist. Oder, aktueller, durch Kritik an der katholischen Kirche, was evangelisch ist. Wenn wir nur sagen können, was wir nicht sind, nur auf das verweisen, was unserer Meinung nach bei anderen Glaubensrichtungen falsch ist, dann ist es wohl nicht weit her mit unserem Glauben.

So, denke ich, ist es auch mit dem angeblich „alten“ Glauben der Jüdinnen und Juden, wie er vor allem von Luther als Negativbild verwendet worden ist. Luther hat Erlösung gesucht, den gnädigen Gott. Unsere jüdischen Geschwister allerdings halten die 613 Gebote nicht ein, um Gott zu imponieren. Die 613 Gebote sind kein Weg zu dem, was dann im Christentum „Erlösung“ genannt werden wird. Nein, die 613 Gebote sind nach jüdischem Verständnis schlicht und einfach ein Angebot Gottes: lebe danach, und dein Leben ist in Einklang mit Gott. Lebe so, und du merkst: Gott ist da. Lebe danach – und du lebst gut. Dieses Verständnis der Gebote ist ja dann auch unserem Reformator Johannes Calvin wichtig geworden: die jüdischen Gebote sind nicht überholt. Sie gelten nach wie vor, sind Gottes Weisung auch für uns Christinnen und Christen, vor allem im Bemühen um Gerechtigkeit.

Ja, ich denke, es ist gut, wenn wir am Reformationsfest ganz bewusst die Vorstellung von „Gesetzlichkeit“ nicht am Judentum, oder besser, nicht an einem bestimmten falschen Bild vom Judentum festmachen. Sondern vielmehr darüber nachdenken, wo wir heute in „Gesetzlichkeiten“ feststecken, gerade als ach so freie Evangelische, mit unserem Herumreiten auf Prinzipien, unserem Leistungsdenken, unserer Angst davor, als Evangelische nicht ernst genommen zu werden oder unsere Identität verlieren.

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit“, hat der Apostel Paulus gesagt. Er hat vor einer Unfreiheit gewarnt, die sozusagen über die Hintertür sich wieder hineinschleicht, wenn zwar der Glaube an Christus grundsätzlich da ist, aber man diesem dann doch nicht so recht trauen will. Wenn aus Unsicherheit dann doch wieder Freiheit aufgegeben wird.

Davor musste Paulus damals warnen, und der Reformationstag ist ein guter Anlass, genau hinzuschauen, wo wir vielleicht doch in Denk- und Handlungsmuster zurückfallen, die wir seit der Reformationszeit für überwunden glaubten.

Um dann wieder zu erkennen: wir müssen nichts tun. Aber wir können und dürfen es. Orientiert an den Geboten Gottes. An dem Gebot, in dem alles zusammengefasst ist, und das vom ersten Moment an, an dem Gott seine Gebote seinem Volk gegeben hat, da war: orientiert am Gebot der Liebe.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 225, 1 – 3: Komm, sag es allen weiter

Abendmahl: 

Jesus Christus spricht: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr Hunger haben, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“ (Jh. 6,35)

Wir feiern Abendmahl miteinander, zusammengeführt durch den Geist Gottes an den Tisch Jesu Christi. So wollen wir daran denken, wie Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat, und was wir heute mit ihm erleben können, wenn wir in seinem Namen essen und trinken.

Einsetzungsworte:

Jesus Christus,
in der Nacht, in der er verraten wurde,
nahm er das Brot, dankte, brach es und sprach:
Nehmt, esst, das ist mein Leib,
der für euch gegeben wird;
Das tut zu meinem Gedächtnis.

Ebenso nahm er den Kelch nach dem Mahl
und sprach:
Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut.
Das tut, sooft ihr daraus trinkt,
zu meinem Gedächtnis.

Denn sooft ihr dieses Brot esst
und aus diesem Kelch trinkt,
verkündigt ihr den Tod Jesu Christi,
bis dass er kommt.

Hinführung zum Abendmahl:

Worauf können wir uns verlassen. Was stärkt uns, hilft uns, gibt uns Sicherheit? Im Feiern des Abendmahls wird uns wieder versprochen: all das finden wir bei unserem Gott.

Wir sind begleitet und getragen. Wir werden gestärkt. Wir werden verbunden – miteinander und mit Gott. Im Abendmahl wird diese Botschaft konkret. Fassbar und greifbar, wir können sie spüren, schmecken, sehen. Gott ist, in seinem Geist, ganz da.

Das hilft uns, unser Leben anzunehmen und zu verstehen. So wie es ist. Es ist das Leben, in das Gott uns gestellt hat. So können wir Hoffnung behalten und immer wieder neu geschenkt bekommen. Und zwar gemeinsam.

Miteinander feiern wir. Zusammengeführt und verbunden, durch geteilte Zweifel und Fragen, geteilte Hoffnung und geteilte Gewissheit. In Brot und Wein gestärkt und ermutigt. Beschenkt durch das Mitfeiern am Tisch, zu dem Jesus Christus selbst einlädt.

Musik zur Austeilung des Abendmahls: Juliane Schleehahn: Improvisation

Gebet: 

Befreiender Gott, liebender Gott!
Du zeigst dich deiner Welt durch deinen Sohn Jesus Christus.
In Brot und Wein haben wir Gemeinschaft mit ihm.
Klar und deutlich sind seine Worte.
Klar und deutlich wollen auch wir sein.

Darum bitten wir dich um deine Nähe,
damit wir in deiner Nachfolge treu sind
und in Gemeinschaft mit den Christinnen und Christen überall auf der Erde
auf deinem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens gehen.

Vergib uns unseren Kleinglauben,
und lehre uns zu teilen
und darauf zu vertrauen,
dass deine Liebe uns stark macht,
frei und aufrecht.

Schenke diese Liebe allen Menschen,
besonders den Kranken und Hungernden,
den Trauernden und Sterbenden,
den Obdachlosen und Heimatlosen
und allen Kindern dieser Erde.

Sei und bleibe auch bei uns,
jetzt und in Ewigkeit!
In Jesu Namen beten wir zu dir:

(nach Silke Eva Schmidt)

Unser Vater im Himmel  …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 170, 1-3: Komm, Herr, segne uns

Postludium: Juliane Schleehahn: Praeludium in a-Moll von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)