Foto: Ulrike Wittich

 

 

 

Online-Gottesdienst zum Feiern zu Hause
aus der reformierten Erlöserkirche am 30. Oktober 2022
mit Pfr. Johannes Wittich


Präludium: Martin A. Seidl: Aus meines Herzens Grunde von Johann Christoph Bach (1642 – 1703)
Lied: Evangelisches Gesangbuch 447, 1-3.7: Lobe den Herren

1) Lobet den Herren alle, die ihn ehren;
lasst uns mit Freuden seinem Namen singen
und Preis und Dank zu seinem Altar bringen.
Lobet den Herren!

2) Der unser Leben, das er uns gegeben,
in dieser Nacht so väterlich bedecket
und aus dem Schlaf uns fröhlich auferwecket:
Lobet den Herren!

3) Dass unsre Sinnen wir noch brauchen können
und Händ und Füße, Zung und Lippen regen,
das haben wir zu danken seinem Segen.
Lobet den Herren!

7) Gib, dass wir heute, Herr, durch dein Geleite
auf unsern Wegen unverhindert gehen
und überall in deiner Gnade stehen.
Lobet den Herren!

Spruch: Jeremia 17,14:

Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.

Begrüßung:

Gut, dass wir gemeinsam Gottesdienst feiern können, selbst wenn einmal nicht zusammen in der Kirche sitzen. Im Lesen, Nachdenken, Hören und Beten sind wir miteinander verbunden, feiern gemeinsam im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Gebet:

Mein Gott, wenn man mich fragt, wie ‘s mir geht –
ach ja, sage ich dann, es geht; oder:
Ich kann mich nicht beklagen.

Lass mich wenigstens vor mir selbst nicht verschweigen, wie ‘s mir geht:
Mein Leben stellt mir mehr Fragen, als es Antworten gibt.
Ich möchte klagen können – mindestens vor dir.

Mein Gott, mir mein Leben ehrlich anzuschauen:
Dazu komme ich nicht so oft.
Ich bin beschäftigt – oder auch: abgelenkt.
Und um richtig zu schauen, müsste ich ja wissen, worum es geht im Leben.
Ich weiß, dass ich das wissen müsste:
Sag es mir bitte trotzdem noch einmal!

Mein Gott, richtig zu schauen, macht mir auch Angst.
Was ist, wenn ich mein normales Leben nicht mehr leben kann?
Was ist, wenn mir der Boden unter den Füßen wankt?
Was fängt mich denn auf, außer Alltag und Geschäftigkeit?
Mein Gott, ich weiß ja, wer mich auffängt.

Hilf mir, mich auf dich zu verlassen!
Gib mir Menschen zur Seite, die ehrlich mit mir sind.
Sie erinnern mich an dich, wie du mich stützt und infrage stellst – gleichzeitig.

Gott, deine Nähe tut uns gut.
Wenn du bei uns bist, können wir spüren und sagen,
was unser Leben reich macht und was uns fehlt.
Gott, öffne uns nicht nur dir, sondern auch den Menschen um uns herum.
Lass uns miteinander reden und aufeinander hören.
Bring uns zusammen unter deinem Wort und Segen.
Amen
.

Predigttext: Jakobus 5,13-16:

13 Geht es jemandem unter euch schlecht, so bete er; hat jemand Grund zur Freude, so singe er Gott ein Loblied! 14 Ist jemand unter euch krank, so rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich. Die sollen ihn im Namen des Herrn mit Öl salben und über ihm beten. 15 Und das Gebet des Glaubens wird den Ermatteten retten, und der Herr wird ihn aufrichten. Und wenn er Sünden begangen hat: Es wird ihm vergeben werden. 16 Bekennt einander also die Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet! Viel vermag die Fürbitte eines Gerechten, wenn sie inständig vorgebracht wird.

Predigt:

Liebe Gemeinde!

Was finden Sie besser – Geben oder Nehmen? Wenn man dem Sprichwort glauben darf, dann ist Geben ja seliger (also besser) als Nehmen. Auch wenn es im ersten Moment seltsam klingt: Meiner Beobachtung nach leben nicht wenige Menschen auch so. Sie fühlen sich wohler, wenn sie die Stärkeren sind, wenn sie geben können, wenn andere dankbar zu ihnen aufschauen – und sind dann auch großzügig.

Nur haben wir als Gemeinde (Besuchskreis, Gemeindeschwester, Diakonium, Pfarrer, auch Presbyterium und Sekretärin), eigentlich mehr mit Menschen in Situationen zu tun, in denen sie aufs “Nehmen” angewiesen sind: Kranke, Leidende, Menschen, denen jemand gestorben ist. Und die haben dann schon zu erzählen, dass z.B. eine Nachbarin gesagt hat: “Wenn ich Ihnen helfen kann, sagen Sie doch Bescheid! Und wenn Sie was brauchen, müssen Sie sich nur melden!” Wunderbar, denke ich dann, es gibt so viel Wärme und Menschlichkeit. Und was ist wohl der nächste Satz des hilfsbedürftigen Menschen? “Ja, schon nett. Aber: Man will ja auch niemandem zur Last fallen. Wer kann mir schon wirklich helfen. Ich muss ja doch mit allem allein fertig werden.” Immer wieder hören wir das. „Ich will niemanden zur Last fallen. Ich muss mein Elend selbst bewältigen.“

Dabei ist es doch möglicherweise gerade umgekehrt. Vielleicht würde die Nachbarin wirklich gerne etwas tun! Es hat wahrscheinlich sogar Überwindung gebraucht, etwas anzubieten! Vielleicht hilft ein bedürftiger Mensch sogar dem Starken und Gesunden. Gibt ihm eine Aufgabe, etwas Sinnvolles oder Praktisches zu tun. Daran denken allerdings die Wenigsten. Abkapseln im Leid scheint einfacher zu sein.

Das Nehmen scheint nicht nur unseliger zu sein, sondern wird möglichst ganz vermieden. Die wirkliche Armut ist bei uns hinter Wohnungstüren versteckt. Das Leiden in Krankenhäuser und Pflegeheime abgeschoben. Und unser Umgang mit dem Tod ist oft auch von Verdrängungsmechanismen geprägt. Nur keine Beileidskundgebungen. So schlecht geht’s mir ja auch wieder nicht!

Unser heutiger Predigttext sieht große Möglichkeiten darin, Hilfe anzunehmen, wenn wir in Leid und Krankheit nicht alleine bleiben wollen. Er stammt von einem sonst unbekannten Briefschreiber, der sich selbst Jakobus nennt. Ungefähr an der Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt schreibt er seiner Gemeinde. Sie scheint überwiegend aus einfachen Leuten zu bestehen, aus armen, teilweise verängstigten Menschen. Sie leben im christlichen Glauben, aber ihre Lebensprobleme unterscheiden sich nicht von denen anderer Leute: Armut, Leid und Krankheit.

Ich finde, dieser Abschnitt aus dem Jakobusbrief hat eine ganz große Stärke: Sein Autor weiß immer etwas zu tun. Leidet jemand, der bete. Ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Es gibt immer eine Handlung, eine Form für die Gefühle und Empfindungen. Man kann sich äußern – weil man eine Form dafür hat. Nichts muss im Innern verschüttet bleiben. Man kann anderen zeigen, was los ist.

Vielleicht müssen wir gerade dann zu Helfern und Helferinnen werden, wenn wir selbst am Hilflosesten sind. Eine Form für unsere Wünsche finden: Was möchte ich denn, dass der Mitmensch für mich tut? Je konkreter, je banaler, desto besser: Konkrete Bitten, banale Wünsche. Vielleicht macht das mein gegenüber wirklich froh, nicht mit hilflosen, leeren Händen zu kommen, sondern klar mitgeteilt zu bekommen, was jetzt nötig ist. Und macht dann gern das, worum ich gebeten habe.

Denn wovon Jakobus vor zweitausend Jahren so selbstverständlich ausging, das stimmt doch noch immer: dass wir in einem Gemeinwesen und mehr noch in einer Kirchengemeinde miteinander verbunden sind. Dass es uns natürlich wichtig ist, wie es den anderen geht. Sonst hätte die Frage: “Und wie geht es Ihnen, wie geht es dir heute?” vor dem Gottesdienst doch keinen Sinn. Oder dass wir Grüße im Gottesdienst abkündigen. Oder sagen, wer getauft wurde, wer geheiratet hat, wer gestorben ist. Wir tun es, weil wir uns umeinander kümmern. Und daher schließlich – hoffentlich nicht nur im Gottesdienst – auch füreinander beten.

Ich lese unseren Predigttext daher auch als Aufforderung, Hilfe anzunehmen; Nehmen seliger zu finden als Geben. Dass wir die nächste Situation, in der wir ratlos sind, nicht mit uns allein abmachen. Nicht nur mit unserer engsten Umgebung. Auch nicht nur mit Gott. Er hat uns Brüder und Schwestern gegeben, wen können wir also bitten? Wenn Jakobus Recht hat, wird das uns mit anderen Gemeindemitgliedern näher zusammenbringen. Uns wird deutlich werden, warum Gott uns immer als Erstes in eine Gemeinde steckt – bei der Taufe, bevor wir überhaupt nur die geringste Chance hatten, etwas selbst zu schaffen. Gott will uns als Menschen in Beziehungen, nicht als heldenhafte Einzelkämpfer und Einzelkämpferinnen. Und wir und unsere Helfer werden erleben, wie viel Kraft und Hilfe wir einander geben können. Unser Gebet füreinander wird viel vermögen.

Und schließlich machen wir dann eine Erfahrung, die wir mit Gott eigentlich immer wieder machen sollten: dass wir angewiesen sind aufeinander. Wir werden erleben: Dass man uns beschenkt, macht uns nicht kleiner, sondern größer. Wir sind Menschen, für die andere beten. Wir sind Menschen, die nicht vergessen sind. Wir sind Menschen, die sich Gott zuwenden und von dort Kraft bekommen. Kann man Größeres von Menschen sagen?

Amen.

Interludium: Martin A. Seidl: Nun lob, mein Seel, den Herren von Johann Gottfried Walther (1684 – 1748)
Gebet:

Gott, unser Helfer, lass uns Menschen sein,
die um Hilfe und Vergebung bitten können.
Hilf uns, dass wir uns nicht größer machen müssen, als wir sind.
Groß ist, wem geholfen und vergeben wird – lass uns das erfahren.

Gott, unser Helfer, lass uns Menschen sein, die anderen helfen.
So viele um uns sind einsam, krank oder traurig.
Hilf uns zum passenden Wort und zur hilfreichen Tat.
Zu helfen macht uns reich – lass uns das erfahren.

Gott, unser Helfer, oft leben wir in großen Abständen voneinander.
Wir wissen nicht, was der andere braucht.
Wir trauen uns nicht, unsere Hilfe anzubieten, vieles scheint so banal.
Zu helfen kann schlicht sein und gar nicht schwer – lass uns das erfahren.

Gott, unser Helfer, du führst uns zusammen in einer Gemeinde.
Wir sind aufeinander angewiesen in der Christenheit, in der ganzen Welt.
Wenn wir einander helfen und uns helfen lassen, sind wir dir nah – lass uns das erfahren. Amen

Unser Vater

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr hebe sein Angesicht über dich und schenke dir Frieden
.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 347, 1-4

1) Ach bleib mit deiner Gnade
bei uns, Herr Jesu Christ,
dass uns hinfort nicht schade
des bösen Feindes List.

2) Ach bleib mit deinem Worte
bei uns, Erlöser wert,
dass uns sei hier und dorte
dein Güt und Heil beschert.

3) Ach bleib mit deinem Glanze
bei uns, du wertes Licht;
dein Wahrheit uns umschanze,
damit wir irren nicht.

4) Ach bleib mit deinem Segen
bei uns, du reicher Herr;
dein Gnad und all’s Vermögen
in uns reichlich vermehr.

Postludium: Martin A. Seidl: Praeludium et Fuga in g von Nikolaus Bruhns (1665 – 1697)