Gottesdienst zum Karfreitag aus der ref. Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 2. April 2021
mit Pfr. Johannes Wittich


Orgelvorspiel: Juliane Schleehahn
Spruch: Eph. 2, 14:

Christus ist unser Friede.

Begrüßung:

In einer unfriedlichen, zerrissenen, brutalen Welt sehnen wir uns nach Frieden. Am Karfreitag zeigt sich diese Welt ungeschminkt, ohne Beschönigung, mit all ihren Abgründen, von ihrer dunkelsten Seite.

Ganz bewusst am Karfreitag, bekennen wir, trotzig und vielleicht auch gegen allen Augenschein und alle Vernunft: Friede hat eine Chance! Weil Christus unser Friede ist. Und er auch an diesem dunklen Tag in der Geschichte er selbst bleibt: Erlöser, Sohn Gottes, Licht für die Welt.

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt,“ sagt er aber auch (Jh. 18,36), in seiner Verteidigung vor dem römischen Stadthalter Pontius Pilatus. Eine Verteidigung, die so gar nicht eine Verteidigung ist. Jesus weiß, was geschehen wird, und dass es geschehen muss. Er erträgt, was ihm zugemutet wird. Das Entscheidende, das Entscheidende für uns, geschieht aber ganz wo anders. Ist Angelegenheit seines anderen Reiches.

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, – dieser Satz wird uns in unserer Gemeinde durch die Gottesdienste an Karfreitag, Karsamstag und Ostersonntag begleiten. Mitten drin im Reich dieser Welt – aber auch berührt und angesprochen von dem Reich, von dem Jesus spricht. Diese Spannung begleitet uns von der Kreuzigung bis zur Auferstehung. In dieser Spannung, leben, glauben, hoffen wir.

Das machen wir uns wieder bewusst, wenn wir gemeinsam Gottesdienst feiern, im Namen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm:

Immer schon haben Menschen versucht, ihren Kummer, ihr Leid nicht nur in Worte zu fassen, sondern diese Worte dann ganz bewusst an Gott zu richten. So auch im 22. Psalm 2-9:

2 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen,
bist fern meiner Rettung, den Worten meiner Klage?
3 Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du antwortest nicht,
bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe.
4 Du aber, Heiliger,
thronst auf den Lobgesängen Israels.
5 Auf dich vertrauten unsere Vorfahren,
sie vertrauten, und du hast sie befreit.
6 Zu dir schrien sie, und sie wurden gerettet,
auf dich vertrauten sie, und sie wurden nicht zuschanden.
7 Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,
der Leute Spott und verachtet vom Volk.
8 Alle, die mich sehen, verspotten mich,
verziehen den Mund und schütteln den Kopf:
9 Wälze es auf den Herrn. Der rette ihn,
er befreie ihn, er hat ja Gefallen an ihm
.

Gebet:

Guter Gott,
was da geschehen ist auf Golgatha,
ist uns fremd und unverständlich.
Es geht uns aber trotzdem nahe,
wie Alles,
was es an Leid und Ungerechtigkeit in dieser Welt gibt.
Eine schreckliche Geschichte damals,
die uns aber herausfordert,
auch die anderen schrecklichen Geschichten heute wahrzunehmen.
Wir sind von dieser Welt,
mitten drinnen in ihr,
können uns von ihr nicht lösen,
von unserer Verantwortung, unserem Versagen, unserer Hilflosigkeit.
Wir brauchen dich:
Du weißt, wie es in dieser Welt zugeht,
was in uns vorgeht,
du versteht es,
weil du einer von uns gewesen bist.
Mit dir in der Welt,
können wir die Welt sehen, wie sie ist,
ihre Grenzen,
und vor allem die Grenzen ihrer Macht über uns.
Danke, dass du unser Gott bist,
ganz da,
mit Möglichkeiten jenseits unserer Vorstellungskraft,
Darauf vertrauen wir.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 81, 1,2,4: Herzliebster Jesu, was hast Du verbrochen

1) Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen,
dass man ein solch scharf Urteil hat gesprochen?
Was ist die Schuld, in was für Missetaten
bist du geraten?

2) Du wirst gegeißelt und mit Dorn gekrönet,
ins Angesicht geschlagen und verhöhnet,
du wirst mit Essig und mit Gall getränket,
ans Kreuz gehenket.

4) Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe!
Der gute Hirte leidet für die Schafe,
die Schuld bezahlt der Herre, der Gerechte,
für seine Knechte.

Predigttext: Jh 18, 33-38:

33 Da ging Pilatus wieder ins Prätorium hinein, liess Jesus rufen und sagte zu ihm: Du bist der König der Juden?
34 Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?
35 Pilatus antwortete: Bin ich etwa ein Jude? Dein Volk und die Hohen Priester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan?
36 Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, würden meine Diener dafür kämpfen, dass ich nicht an die Juden ausgeliefert werde. Nun aber ist mein Reich nicht von hier.
37 Da sagte Pilatus zu ihm: Du bist also doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es. Ich bin ein König. Dazu bin ich geboren, und dazu bin ich in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.
38 Pilatus sagte zu ihm: Was ist Wahrheit? Und nachdem er dies gesagt hatte, ging er wieder zu den Juden hinaus, und er sagte zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm.

Liebe Gemeinde!

An dem Tag, den wir heute „Gründonnerstag“ nennen, hat Jesus noch das Passafest mit seinen Jüngern begangen. Eine freudige Tradition im Judentum, Erinnerung an eine wunderbare Befreiung. Noch während des gemeinsamen Mahls, aber besonders danach, geht es dann Schlag auf Schlag: Verwirrung, Verrat, Verhaftung, Prozess, Verurteilung, Folter und Verspottung, Kreuzigung. Nicht einmal einen Tag später ist Jesus tot.

Ein „Horrortrip“ für Jesus, aber auch für seine Anhängerinnen und Anhänger. Eine emotionale Ausnahmesituation, wenige Stunden, in denen für sie alles zusammenbricht.

Die schlimmen Ereignisse selbst, die dauern, wie gesagt, nur einige Stunden. Das sprichwörtliche „schwarze Loch“, in das die Jüngerinnen und Jünger Jesu wohl nach seinen letzten Atemzügen am Kreuz gefallen sind, das hat mehr Zeit gebraucht. Ich denke, die meisten von uns kennen das, wie man in so einer Situation wie ferngesteuert die notwendigen Handlungen setzt, aber nicht wirklich „da“ ist. Für die Menschen um Jesus waren das Verhandlungen mit den römischen Behörden, die Freigabe des Leichnams, die Suche nach einem Grabplatz, das Verschließen des Grabes mit einem Stein. Aber selbst diese schwierige Phase ist unwirklich schnell wieder zu Ende: zwei Tage später ist Jesus auferstanden. Die Jüngerinnen und Jünger müssen sich wieder neu orientieren, an dem Unglaublichen, das sie erlebt haben: der Tod ist überwunden. Jesus lebt, und auch sie finden einen neuen Zugang zum Leben.
.
Ostersonntag – ein Happy End? Ja, Jesus lässt Leiden und Tod hinter sich und ist fortan der Auferstandene. Er lässt sein Leiden und seinen Tod hinter sich – aber was ist mit all dem anderen Leiden, mit all dem anderen Sterben in der Welt? Das bleibt, ist geblieben, ist heute, so scheint es zumindest, unverändert da. Ist Kennzeichen dieser unserer Welt.

Als Jesus vor dem römischen Statthalter Pontius Pilatus steht und der ihn verhört, fällt, wie schon gesagt, dieser einprägsame Satz: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Wäre sein Reich von dieser Welt, so Jesus weiter, würden seine Jünger jetzt Widerstand leisten, vielleicht sogar einen Aufstand anzetteln, nur, damit Jesus freikommt. Wie das eben so ist, wenn der Anführer einer politischen Bewegung inhaftiert wird.

Bei Jesus ist das nicht der Fall. Es gibt zwar einen Ansatz in diese Richtung: Petrus, der sein Schwert zieht bei der Verhaftung, aber dann von Jesus selbst „zurückgepfiffen wird“. Widerstand ist zwecklos, aber nicht wegen der Überlegenheit der Gegner, meint Jesus, sondern wegen seiner grundsätzlichen Ablehnung von Gewalt. Und eben auch, weil das, was passieren muss, sich nicht aufhalten lässt.

Jesus klinkt sich sozusagen aus den Regeln dieser Welt aus – und spielt nach den Regeln einer anderen, seiner Welt. Die in dramatischem Kontrast zur irdischen Welt steht. Seine Gegenwelt, in der er König ist, kann sein Leiden und seinen Tod nicht verhindern. Will es auch nicht, weil das ein Akt der Unterwerfung unter die Regeln unserer Welt wäre.

Unserer Welt, die unsere Welt geblieben ist, auch nach Ostern. Die sich nach wie vor nach Erlösung und Frieden sehnt. Aus der wir uns nicht ausklinken können. In die wir so verstrickt sind, dass wir auch immer wieder zum Unfrieden und zur Ungerechtigkeit beitragen. Nicht nur durch einzelne Handlungen – das auch. Aber: Wenn wir etwas falsch gemacht haben, dann können wir gegensteuern, nachdenken, das Gespräch suchen, aus Erfahrungen lernen, es das nächste Mal besser machen. Viel tückischer ist es aber mit unserer Verstrickung in größere Zusammenhänge, als Bürgerinnen und Bürger eines reichen europäischen Landes. Wir wissen, dass wir mit unserem Wirtschaftssystem auf Kosten Anderer leben – und auf Kosten der Natur, vor allem anderswo in der Welt. Das sind inzwischen Einsichten, die man schon nicht mehr hören möchte, so abgedroschen und banal, wie sie klingen. Das sind sie auch – und trotzdem nicht weniger wahr.

Wenn wir am Karfreitag über Leid und Ungerechtigkeit reden, dann können und dürfen wir nicht Leid und Ungerechtigkeit ausblenden, von denen wir zumindest profitieren, wenn nicht sogar mit daran schuld sind. Menschen, die damals am grausamen Tod von Jesus beteiligt waren, haben sich, um ein traditionelles Wort zu verwenden, „versündigt“. Auch die, die etwas dagegen tun hätten können, und erst recht die, die begeistert mitgetan haben. Auch wir kommen aus den „sündhaften“ Strukturen dieser Welt nicht raus.

Karfreitag ist aber der Tag, an dem wir wieder einmal bewusst sagen können: ja, wir sind verstrickt in diese Strukturen, aber wir wollen das nicht. Wir wollen raus. Wir wollen uns ihnen widersetzen. Denn wir berufen uns auf einen, der selbst im Angesichts des Todes gesagt hat: ich spiele euer Spiel nicht mit. Denn: mein Reich ist nicht von dieser Welt.

Wo immer versucht wird, den vermeintlich starren und unveränderlichen Regeln dieser Welt etwas entgegenzusetzen, wo immer gehofft, geglaubt, widersprochen, geholfen und geheilt wird, wird die „Regierungserklärung“ Jesu umgesetzt. Ganz konkret ist für mich das an einer Aktion der letzten Zeit passiert. Wir wissen alle, welch unerträgliche Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln herrschen. Wir wissen auch, wie die Argumente dieser Welt lauten, warum man nicht den Menschen dort helfen kann, indem man zumindest ein paar von ihnen nach Österreich kommen lässt: wir können nicht allen helfen, oder wir haben schon so viele aufgenommen, oder wenn wir ein paar kommen lassen, dann kommen noch mehr, oder wir helfen vor Ort (was nachweislich nicht stimmt.) Alle diese Sätze sind typisch für das Reich dieser Welt.

Und dann haben sich einige Menschen hingestellt und haben gemeint: das kann so nicht sein. Schauen wir doch mal, wie viele Plätze wir in Österreich für Flüchtlinge aus Moria und Kara Tepe finden können! Ziel des Aufrufs waren 144 Plätze. Tatsächlich angeboten wurden bis zur Stunde 3.188. Kommen durften bisher: null.

Und die Initiatoren? Die machen unermüdlich weiter. Versuchen zu informieren und politisch zu überzeugen. Haben einen langen Atem. Glauben, ganz egal ob sie sich als christlich verstehen oder nicht, dass es ein Reich gibt, das nicht von dieser Welt sein muss. In dem andere Regeln herrschen, vor allem eine: seid barmherzig.

Amen.

Zwischenspiel: Juliane Schleehahn: Improvisation
Gebet:

Dein Reich komme, beten wir,
guter Gott,
und meinen es ernst,
weil es dein Reich braucht,
schon hier und jetzt,
und Menschen,
die nach den Regeln dieses Reiches leben, denken und handeln.

So bitten wir dich,
um Mut für Verzagte und Ängstliche,
um Hoffnung und Zuversicht,
damit Zweifel nicht die Oberhand gewinnen.
Um Freiheit im Denken und Urteilen,
niemandem verpflichtet,
außer der Liebe zu dir und den Mitmenschen.
Um Besonnenheit und Durchblick
als Kinder deiner Wahrheit,
für uns und für Alle.

Unser Vater im Himmel …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Orgelnachspiel: Juliane Schleehahn: Präludium in g-Moll von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)