Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst mit Gebet für die Ukraine
aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, am 27. Februar 2022
mit Pfr. Johannes Wittich


Praeludium: Martin A. Seidl: Praeludium et Fuga ex d-Moll von Johann Caspar Ferdinand Fischer (1670-1746)
Lied: Evangelisches Gesangbuch, 361, 1-4: Befiehl du deine Wege

1) BEFIEHL du deine Wege
und was dein Herze kränkt
der allertreusten Pflege
des, der den Himmel lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden
gibt Wege, Lauf und Bahn
der wird auch Wege finden,
da dein Fuß gehen kann.

2) DEM HERREN musst du trauen,
wenn dir’s soll wohlergehn;
auf sein Werk musst du schauen,
wenn dein Werk soll bestehn.
Mit Sorgen und mit Grämen
und mit selbsteigner Pein
lässt Gott sich gar nichts nehmen:
es muss erbeten sein.

3) DEIN ewge Treu und Gnade,
o Vater, weiß und sieht,
was gut sei oder schade
dem sterblichen Geblüt;
und was du dann erlesen,
das treibst du, starker Held,
und bringst zum Stand und Wesen,
was deinem Rat gefällt.

4) WEG hast du allerwegen,
an Mitteln fehlt dir’s nicht;
dein Tun ist lauter Segen,
dein Gang ist lauter Licht.
Dein Werk kann niemand hindern,
dein Arbeit darf nicht ruhn,
wenn du, was deinen Kindern
ersprießlich ist, willst tun.

Spruch: Ps. 27,1:

Der Herr ist mein Licht und meine Rettung, vor wem sollte ich mich fürchten? Der
Herr ist meines Lebens Zuflucht, vor wem sollte ich erschrecken?

Begrüßung:

Ja, wir fürchten uns. Was sich gerade in der Ukraine abspielt, macht uns Angst, große Angst. Wir haben hier Angst, und wir können uns kaum vorstellen, wie es jetzt für die Menschen in dort vor Ort sein muss.

Mit unserer Angst kommen wir zu Gott. Mit unserer Sorge für die Menschen, die jetzt so Schreckliches mitmachen müssen. Und nicht zuletzt mit unserer großen Sehnsucht nach Frieden, allem Wahnsinn zum Trotz.

All das bringen wir in diesen Gottesdienst, wenn wir gemeinsam feiern, im Namen …

Gebet:

Beten wir mit den Worten des 27. Psalms, von dem wir gerade schon den ersten Vers gehört haben:

(1Von David.)
Der Herr ist mein Licht und meine Rettung,
vor wem sollte ich mich fürchten?
Der Herr ist meines Lebens Zuflucht,
vor wem sollte ich erschrecken?
2Dringen Übeltäter auf mich ein,
mich zu zerfleischen,
meine Gegner und meine Feinde,
sie müssen straucheln und fallen.
3Mag ein Heer mich belagern,
mein Herz fürchtet sich nicht;
mag Krieg sich gegen mich erheben,
bleibe ich doch voll Zuversicht.
4Eines nur habe ich vom Herrn erbeten,
dies eine begehre ich:
zu wohnen im Hause des Herrn
alle meine Tage,
zu schauen die Freundlichkeit des Herrn
und nachzusinnen in seinem Tempel.
5Denn er birgt mich in seiner Hütte
am Tage des Unheils,
er beschirmt mich im Schutz seines Zeltes,
hebt mich empor auf einen Felsen.
6Nun kann mein Haupt sich erheben
über meine Feinde rings um mich her.
Ich will Opfer darbringen in seinem Zelt,
Opfer des Jubels,
will singen und spielen dem Herrn.
7Höre, Herr, mein lautes Rufen,
sei mir gnädig und erhöre mich.
8An dein Wort denkt mein Herz:
Sucht mein Angesicht.
Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.
9Verbirg dein Angesicht nicht vor mir.
Weise deinen Diener nicht ab im Zorn.
Du bist meine Hilfe.
Verstosse mich nicht und verlass mich nicht,
du Gott meiner Rettung.
10Wenn auch Vater und Mutter mich verlassen,
nimmt der Herr mich auf.
11Weise mir, Herr, deinen Weg,
und leite mich auf ebener Bahn
um meiner Feinde willen.
12Gib mich nicht preis
der Gier meiner Gegner,
denn falsche Zeugen stehen auf gegen mich
und ruchlose Ankläger.
13Hätte ich doch die Gewissheit,
die Güte des Herrn zu schauen
im Land der Lebenden.
14Hoffe auf den Herrn.
Sei stark, dein Herz sei unverzagt.
Hoffe auf den Herrn.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 421: Verleih, uns Frieden gnädiglich

Verleih uns Frieden gnädiglich,
Herr Gott, zu unsern Zeiten.
Es ist doch ja kein andrer nicht,
der für uns könnte streiten,
denn du, unser Gott, alleine.

Lesung: Micha 4, 1-5: eine prophetische Vision von einer Zukunft im Frieden:

1Und in fernen Tagen wird der Berg des Hauses des Herrn fest gegründet sein,
der höchste Gipfel der Berge,
und er wird sich erheben über die Hügel.
Und Völker werden zu ihm strömen,
2und viele Nationen werden hingehen und sagen:
Kommt und lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn,
zum Haus des Gottes Jakobs,
damit er uns in seinen Wegen unterweise
und wir auf seinen Pfaden gehen.
Denn vom Zion wird Weisung ausgehen
und das Wort des Herrn von Jerusalem.
3Und er wird für Recht sorgen zwischen vielen Völkern
und mächtigen Nationen Recht sprechen, bis in die Ferne.
Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden
und ihre Speere zu Winzermessern.
Sie werden das Schwert nicht erheben, keine Nation gegen eine andere,
und das Kriegshandwerk werden sie nicht mehr lernen.
4Und ein jeder wird unter seinem Weinstock sitzen
und unter seinem Feigenbaum,
und da wird keiner sein, der sie aufschreckt,
denn der Mund des Herrn der Heerscharen hat gesprochen!
5Denn alle Völker
gehen, ein jedes, im Namen des eigenen Gottes,
wir aber, wir gehen im Namen des Herrn, unseres Gottes,
für immer und alle Zeit!

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 645: Ubi caritas
Predigt: Phil. 4, 6-7

6Sorgt euch um nichts, sondern lasst in allen Lagen eure Bitten durch Gebet und Fürbitte mit Danksagung vor Gott laut werden. 7Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken bewahren in Christus Jesus.

Liebe Gemeinde!

Krieg – ganz nahe. Nach Tschop, dem ersten ukrainischen Ort nach der gemeinsamen Grenze mit Ungarn sind es mit dem Auto 576 Kilometer. Zum Vergleich: nach Bregenz sind es 600, und auch nur, wenn man über München fährt. Über den Arlberg sind es sogar 662. Wann immer wir in der letzten Zeit von Kriegen gehört haben – sie waren weit weg: Syrien, Afghanistan … Aber jetzt: Krieg mitten in Europa.

Nicht nur geografisch ist uns die Ukraine nahe. Auch geistlich. Z.B. durch unsere reformierte Schwesterkirche im Westen des Landes, in Transkarpatien. 135.000 Mitglieder hat sie, in 103 Gemeinden. Sie ist die Kirche des nichtkatholischen Teils der ungarischen Volksgruppe dort. Ihren Bischof, Sándor Zán-Fábián habe ich persönlich kennengelernt. 2015, in Budapest, bei einer kirchlichen Konsultation darüber, wie wir uns gut um die vielen Flüchtlinge, die gerade zu uns gekommen waren, kümmern können. Flüchtlinge, damals aus Syrien, Afghanistan, Nordafrika, dem Irak geflohen sind, weil das Leben in der Heimat unerträglich geworden war. Jetzt machen sich die Landsleute von Bischof Zán-Fábián auf den Weg …

Unser Landessuperintendent Thomas Hennefeld hat gestern ein Solidaritätsschreiben an die reformierte Kirche in der Ukraine geschickt. Und umgekehrt ist, per schriftlichem Statement, Bischof Zán-Fábián vor einigen Tagen schon bei einem Friedensgebet in der Nikolaikirche in Leipzig präsent gewesen. Da hatte er, noch vor Beginn der russischen Invasion, folgendes zu berichten: „Das erste Opfer des Krieges war vor acht Jahren ein ungarisch-reformierter Soldat. Unsere Gemeinden sind weit weg von dem Krieg im Donbas – aber doch müssen unsere jungen Leute als Soldaten dorthin. – Auch im Westen der Ukraine sind wir dadurch sehr betroffen. Wir erleben einen Exodus der jungen Bevölkerung der ungarisch-sprachigen Gemeinden. Wir haben viele Mitglieder verloren, die nach Westen gezogen sind, weil sie nicht Teil des Krieges werden wollen. Unsere Gemeinden in dieser armen Region in Europa bluten aus. Unsere Bitte an den allmächtigen Gott, unsern Herrn ist es, dass Russen und Ukrainer sich als brüderliche Völker annehmen und miteinander in Frieden leben. Das ist für uns und andere in der Diaspora lebende Völker existenziell wichtig. … Betet für die vielen verschiedenen Nationalitäten in der Ukraine. Betet insbesondere für die russische und ukrainische Bevölkerung, dass sie in Frieden leben kann.“

Die reformierte Kirche in der Ukraine ist mit uns verbunden, weil sie zur großen reformierten Konfessionsfamilie gehört. Zusammen gehören wir aber auch zur GEKE, zur Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa. Das Friedensgebet in Leipzig ist auf diesem Hintergrund gestaltet worden, mit einer Einladung auch an die evangelische Kirche in Russland, durch ein Statement präsent zu sein. Zwei Kirchen jeweils aus den Ländern, die Kriegsgegner sind, deren Armeen aufeinander losgehen und sich gegenseitig umbringen, oder umbringen müssen, weil man es ihnen befohlen hat oder weil man keine andere Möglichkeit mehr sieht, das eigene Land zu schützen.

Uns so war auch der lutherische Erzbischof Dietrich Brauer aus Moskau mit seinen Gedanken zur Lage präsent. „Dietrich Brauer“ klingt nun nicht wirklich sehr russisch – er ist Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit in Russland, der so genannten Russlanddeutschen. (Die wohl bekannteste Angehörige dieser Volksgruppe ist Ilona Fischerova – besser bekannt als Helene Fischer.) Bischof Brauer schreibt: „Ich bin zutiefst besorgt darüber, was sich um mein Land abspielt. Und ich bin nicht weniger verwirrt über den Stand der Beziehungen zwischen Ländern und Völkern, die mir gleichermaßen am Herzen liegen, verwandt und lieb sind. … In diesem Moment verstummt alles in mir und an die Stelle tritt nur eines: Herr, erbarme dich! Dieser Ruf wird aktuell für uns zu einem dringenden inneren Bedürfnis. Herr, erbarme dich! Bewahre uns vor politischer Willkür, vor der Macht des Bösen und vor Blutvergießen. Bewahre uns trotz aller Spannungen in der Einheit deines Geistes.“

Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein – so haben es die Vertreter auf der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 1948 in Amsterdam dreißig Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs formuliert.

Die schrecklichen Erfahrungen und die Verluste des Krieges waren noch allgegenwärtig, waren noch nicht einmal ansatzweise geheilt. Jenseits der Fragen nach Schuld und Gerechtigkeit, nach Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit des Tötens blieb unendliches Leid, Flucht und Vertreibungen, Hass und Zerstörung. Deshalb musste es gesagt werden: Krieg soll nicht sein nach Gottes Willen!

Sehr oft ist aber das, was nach Gottes Willen nicht sein soll, bittere, ungewollte Realität: Töten soll nach Gottes Willen nicht sein. Flucht und Vertreibung soll nach Gottes Willen nicht sein. Zerstörung soll nach Gottes Willen nicht sein. Witwen und Waisen sollen nach Gottes Willen nicht sein. Friede soll nach Gottes Willen sein.

Friede Gottes, von dem auch Paulus im Philipperbrief spricht. Der alles Verstehen übersteigt. „Der höher ist als alle Vernunft“ übersetzt die Lutherbibel. So wichtig, in diesen Zeiten der extremen Unvernunft. Oder der tödlichen Logik von Gewalt und Gegengewalt. In Zeiten, in denen aus „strategischen Gründen“ Menschenleben geopfert, Existenzen zerstört, Lebensperspektiven geraubt werden.

Da braucht es den Frieden, der alles Verstehen übersteigt. Gerade dann, wenn wir so überhaupt nicht mehr verstehen könne, was los ist. In diesem Frieden ist die Bewahrung, die uns hilft, selbst in diese Zeit, so gut es geht, weiter zu hoffen uns zu glauben. Zu handeln, wenn es nötig ist – es ist bald mit Flüchtlingen auch in unserem Land zu rechnen. Und zu beten.

Ja, das Gebet. Das ist unsere Kraft. Nützen wir sie. Amen.

(Unter Verwendung von Gedanken und Texten aus dem Friedensgebet in der Nikolaikirche in Leipzig am 7. Februar 2021, Gustav-Adolf-Werk, Pfr. Enno Haaks)

Interludium: Martin A. Seidl: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)
Gebet:

(Zusammengestellt aus Statements der lutherischen Kirche in Russland und der orthodoxen Kirche in der Ukraine)

Großer Gott, Du weißt wie klein unsere Kräfte sind,
um dem Machtmissbrauch, der Korruption
und der Gewalt standzuhalten.
Sieh herab mit deinem barmherzigen Auge
auf das Leid und die Klagen derer,
die unter dem Krieg in der Ukraine leiden –
und auf alle die, die sich vor einem größeren Krieg fürchten.

Stärke Du uns mit deiner unwiderstehlichen Kraft,
damit wir deinen Willen tun
und dein Licht der Wahrheit hier auf Erden leuchte.
Befreie Menschen von den Nöten, die der Krieg mit sich bringt.
Die, die ein Haus verloren haben, lass wieder ein Zuhause finden,
gib den Hungernden zu essen,
tröste die Weinenden, vereine die Getrennten.

Mache uns zu Werkzeugen deines Friedens
und deiner Gerechtigkeit
und rüste uns mit allem Notwendigen für deinen Dienst
an unseren Mitmenschen aus.
Lasse nicht zu,
dass deine Kirche jemanden verliert
aus Wut gegenüber Mitmenschen und Verwandten,
sondern schenke, als großzügiger Gott, baldige Versöhnung.

Wir haben Angst vor dem Krieg,
der so viel Leid bringt –
für Menschen in der Ukraine, in Russland und in anderen Teilen Europas.
Wir beten für all die Verantwortlichen in Russland,
der Ukraine, Belarus, den USA und der EU,
dass sie Wege heraus aus der Eskalation und Gewalt finden.
Lass uns alle abrüsten mit Worten und Taten.
Erweiche die Herzen derer,
die hart geworden sind
und lass uns zurückkehren zur Erkenntnis deiner Weisheit.

Stärke vor allem unseren Glauben,
belebe unsere Hoffnung und lehre uns zu lieben.
Bewahre uns vor der Willkür der Mächtigen dieser Welt
und bringe sie zur Erkenntnis ihrer Grenzen.
Segne uns mit deinem Frieden,
damit wir gemeinsam Hand in Hand
für eine freiere und gerechtere Welt dir zur Ehre arbeiten!

Und gemeinsam beten wir …

Unser Vater

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 436: Herr, gib uns deinen Frieden (Kanon)
Abkündigungen:
Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, EG: 629, 1.3.5: In jeder Nacht, die mich bedroht

Postludium: Martin A. Seidl: De profundis von Egidius Bassenge (Mitte 16. Jahrhundert – 1595)