Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, am 23. Jänner 2022
mit Annamarie Reining


Orgelvorspiel: Juliane Schleehahn
Einleitung:

Ich begrüße Euch mit dem Wochenspruch der neuen Woche:
Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.

Gibt’s was Fröhlicheres? Im Reich Gottes trifft man sich und feiert. An einem Tisch sitzen wie bei einem Geburtstagsfest, an Weihnachten, oder gar beim Heurigen.

Und wer sitzt schon da, wenn wir vielleicht dazukommen? Abraham, Isaak und Jakob, sagt Jesus: Sie waren Suchende, Irrende, bisweilen Verzagte und doch Angekommene!

Und wie finden wir, jetzt Lebende, zum festlichen Zusammensein im Reich Gottes? Wie ein Wegweiser ist uns heute im Gottesdienst die Gestalt des Hauptmanns von Kapernaum aus dem Matthäusevangelium vor Augen gestellt.

Wir Menschen gehen auf verschlungenen Pfaden alleine und in Gemeinden miteinander verbunden. Bisweilen ist der Weg weit und mühsam, aber Gottes Liebe wird uns ans Ziel bringen.

In dieser Zuversicht beginnen wir den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Predigt:

Gott segne unser Hören und Reden.

Liebe Gemeinde!

Es liegen nun zwei Jahre öffentlicher Appelle von Politikern und Medizinern hinter uns. Wir werden zur Solidarität und Verantwortung aufgerufen. Und sind schon etwas müde davon. Ja, wir nehmen Appelle an und merken zugleich, sie greifen zu kurz. Der heutige Predigttext führt auf eine Ebene, wo es weder Appelle noch Aufrufe braucht.

Lesen: Matth. 8, 5-13 Ich lese die Übersetzung der Züricher Bibel.

Ich möchte Euch zuerst ein Beispiel erzählen, das sich vor etwa 25 Jahren, also vor einer Generation, ereignet hat, um die Geschichte vom Hauptmann zu Kapernaum mit heutigem Leben zu erfüllen.

Die Aktion ‘ Früchteboykott Südafrika‘ ist sicher manchen unter uns in Erinnerung. Sie war Ende der 80ger Jahre als Widerstand gegen das schwer ungerechte Apartheits-System in Südafrika gedacht. Ich hatte damals einen Aufkleber.“ Kauft keine Früchte aus Südafrika“ auf meinem Einkaufswagen und wurde mehrmals darauf angesprochen, meist kritisch auch von evangelischen Bekannten, die den Boycott für unverantwortlich hielten. Die Sorge war: Mit der Aufhebung der Rasse – Gesetze würde es ein Blutbad geben. Es standen ja etwa 22 Mill. gesetzlich unterdrückten schwarzen und farbigen Menschen nur 4 Mill. meist wohlhabende Weiße gegenüber. Es gab aber auch benachteiligte Weiße Südafrikaner.

Der allgemeine wirtschaftliche Druck, der unter anderem auch durch den Boykott spürbar wurde, wirkte. 1994 kam das Ende der Apartheids- Gesetze. Während und nach den ersten freien Wahlen hatte die Welt den Atem angehalten.. Es blieb ruhig. Das war damals nicht nur der Weisheit von Nelson Mandela und seiner Gefährten zu verdanken, Auch die Klugheit von Frederik de Klerk und seiner Regierung spielte eine Rolle.

Es war noch etwas dazugekommen, das In den Ländern des Nordens – auch in Osterreich – kaum wahrgenommen worden war. Nd das waren schon Jahrzehnte alte Bewegungen unter der farbigen Bevölkerung.

Die schwer schuftenden schwarzen Arbeiter und ArbeiterInnen in den Minen, Plantagen und Haushalten , die vermischt verschiedenen Stämmen Afrikas und unterschiedlichen Religionen angehörten, hatten in ihrer Not begonnen, aufeinander zuzugehen. Christen, Moslems, Juden später auch Hindu und Buddhisten hatten versucht EINANDER zu den Kraftquellen ihrer jeweiligen Religion zu führen. Pfarrer, Imame, Rabbiner hatten Treffen organisiert. Viele Jahrzehnte lang hatte der jetzt zu Weihnachten verstorbene anglikanische Erzbischof Desmond Tutu solche Begegnungen und Treffen gestärkt, organisiert und gefördert.

In der Not gefangen, begriffen die Menschen, dass tief UNTER den verfassten Religionen jeweils ein ganz starkes Licht leuchtet, das Vertrauen und Durchhaltekraft schenkt. Ein Licht, ein Feuer, das allen Menschen zunächst Respekt voreinander gebietet. Sie erlebten: je näher ein Mensch seiner eigenen tiefen Glaubensquelle kommt, desto stiller wird er und beginnt den Menschen neben sich als Schwester und Bruder zu sehen. Das war dann auch die Grundlage für die intensive Versöhnungsarbeit zwischen Tätern und Opfern Ende der 90ger Jahre.

Kehren wir zum Bibeltext zurück:

Matthäus erzählt von der Begegnung Jesu mit einem offiziellen Vertreter der verhassten römischen Besatzungsmacht. Nach der Predigt am Berg kommt Jesus nach Kapernaum. Da tritt ihm ein römischer Hauptmann, der Centurio, entgegen. Ein römischer Offizier. In Kapernaum gab es damals eine Kaserne des römischen Militärs. Jeder in der Stadt kannte den Befehlshaber. Er war sicher kein Jude. Aber bei Lukas lesen wir, dieser Hauptmann sei den Juden ‘ zugetan‘ gewesen und habe die Synagoge finanziert.

„Kyrie, Herr“ – eine ungewöhnliche Anrede aus dem Mund eines römischen Offiziers -, bittet der Römer, “mein Diener oder Sklave liegt im Haus, kann sich nicht bewegen und leidet schreckliche Schmerzen“. Und Jesus sagt schlicht: „Ich will hingehen und ihn heilen.“

Der Hauptmann aber erwidert: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach hineingehst.

Das war nicht moralisch gemeint – eher: , es ist mir nicht recht, ,es passt nicht, wenn du unter mein Dach gehst – Im Umgang mit Juden hat der Centurio sicher schon selbst erfahren, dass ein frommer Jude kein heidnisches Haus betreten wird und betreten kann. Die argwöhnischen Gegner Jesu hätten, Spott und Hohn über Jesus ausgegossen, hätte er das Haus des heidnischen, römischen Centurio betreten. Der Hauptmann SCHÜTZT Jesus.

Unerwartet kommt dann der Satz des römischen Offiziers : „Sprich nur ein Wort und mein Sklave wird gesund werden“.

Der heidnische Centurio muss irgendwann dem Feuer des jüdischen Gottesglaubens begegnet sein. Denn in den heidnischen Religionen spielen zwar Opfer – oft nur schlichte Trankopfer – und Riten eine große Rolle, aber das WORT? Vielleicht ist der Hauptmann über den Synagogenbau, den schlichten Synagogen-Gottesdiensten, und dem Hören auf die Tora mit dem Gott der Bibel in Berührung gekommen? Wir erfahren es nicht. Aber die beiden kurzen Sätze, die WORTE, die jeder fromme Jude damals an seinem Körper getragen hat und heute noch trägt, hatte er sicher gehört und gekannt.

„Höre Israel: der Herr, unser Gott ist ein Herr. Und du sollst den Herrn, deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft.“

Und wer die beiden Sätze in der Tiefe seiner Seele zum Klingen bringt, kann das Licht, das Feuer, das auch manche südafrikanschen Sklaven und Sklavinnen in der Tiefe ihrer Religion erfahren haben, verstehen. Momente des Glücks, die zu anderen Menschen hin ausstrahlen. Momente, des Aufgehoben- Seins, des zutiefst Bejaht- Seins. In solch tiefer Gottesbegegnung geht die Türe zu anderen Menschen, wer sie auch sind, auf. Damit beginnt Verantwortung für andere von selbst zu keimen.

Der Hauptmann von Kapernaum muss in der Tiefe seiner Seele Gottvertrauen erlebt haben. Vielleicht erkannte er in den wirkmächtigen Worten und Taten Jesu – sie dürften sich ja in Kapernaum und um den See Genezareth herumgesprochen haben, ein Stück der Gegenwart des Gottes Israels.

In seinem Satz: „sprich nur ein Wort“ ist er über sich selbst hinaus gewachsen und muss sich nun anscheinend selbst wieder einfangen: Was er gerade im der Begegnung mit Jesus für sich erlebt hat, muss er in sein Weltbild einordnen. Ich denke, das kennen wir alle: Was uns überrascht, müssen wir in einen Rahmen bringen. Wir müssen es einordnen. Und es gibt sehr verschiedene Rahmen, wie wir gerade im Umgang mit den Corona-Maßnahmen sehen können.

Lesen: Vers 9 f

Der römische Offizier baut die Vorstellung vom Heilen Jesu in sein damaliges, scheinbar nicht hinterfragbares römisch- militärisches Weltbild ein: Befehl und Ausführung – strengste Ordnung. Und der Hauptmann denkt, dass es bei Jesus wohl auch so sei. Nur, Jesus geht darauf überhaupt nicht ein.. Das Weltbild und die Weltordnung des römischen Offiziers lässt er einfach stehen.

Jesus aber spürt das Feuer des tiefen Vertrauens, das den Hauptmann ergriffen hat.
Das Feuer der Gottesbeziehung ist es, das Leben für alle ermöglicht. ,das Menschen für die Not der anderen wachhält! Ganz ohne Appelle. Es ist das Licht, das Menschen verschiedener Einstellungen zusammenhält. Solche Menschen sind für Jesus Bausteine für das Gottes Reich.

Fast glücklich formuliert er: Schaut:

Sie werden kommen von Osten und Westen von allen Himmelsrichtungen und mit den Urvätern Abraham, Isaak und Jakob und natürlich auch den Urmüttern Israels– im Reich Gottes zu Tische sitzen und an der guten Zukunft für Gottes Welt bauen.

Am Ende der Perikope steht die Zusage und die Heilung des schwerkranken Dieners. Heil, Heilung und die Zusage der Güte und Barmherzigkeit Gottes waren ja der Inbegriff des Lebens Jesu und sein Vermächtnis mit dem er seine Nachfolger bis heute begabt.

Appelle zu Solidarität und Zusammenhalt sind wohl notwendig in unserer Welt. Wachsen, blühen und reifen werden Solidarität und Nächstenliebe aber aus dem Licht und dem Feuer der Gottesbeziehung und der Geistkraft Jesu. Amen.

Orgelnachspiel: Juliane Schleehahn: Allegro moderato maestoso von Felix Mendelson Batholdy (1809 – 1847)