Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, am 16. Jänner 2022, 
2. Sonntag nach Epiphanias
mit Pfr. Andreas Fasching,
Kanzeltauschgottesdienst mit Perchtoldsdorf


Orgelvorspiel: Martin A. Seidl
Lied: Evangelisches Gesangbuch, 70,1+4: Wie schön leuchtet der Morgenstern

1.) Wie schön leuchtet der Morgenstern,
voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn
uns herrlich aufgegangen (die süße Wurzel Jesse).
Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm,
mein König und mein Bräutigam,
du hältst mein Herz gefangen.
Lieblich, freundlich
schön und prächtig, groß und mächtig, reich an Gaben,
hoch und wunderbar erhaben.

4.) Von Gott kommt mir ein Freudenschein,
wenn du mich mit den Augen dein
gar freundlich tust anblicken.
Herr Jesu, du mein trautes Gut,
dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut
mich innerlich erquicken.
Nimm mich freundlich
in die Arme und erbarme dich in Gnaden.
Auf dein Wort komm ich geladen
.

Eingangsvotum und Begrüßung:

Wir feiern Gottesdienst
im Namen Gottes, dem wir gehören;
im Namen Jesu, dessen Lichtglanz uns leitet;
im Namen der Hl. Geistkraft, die uns verbindet.
Amen.

Herzlich willkommen zum Gottesdienst! Der heutige Sonntag führt uns vor Augen, wie vernetzt alles ist: Menschen, Welt und Gott. Dorothee Sölle hat in diesem Sinn Religion einmal beschrieben als „the business of belonging“. Gegen alle Vereinzelungstendenzen, die so farbenprächtig und aufdringlich daherkommen. Zu-gehörig werden. Nicht allein dastehen. Verbunden sein – einander und Gott. An ihn wenden wir uns im Gebet:

Gebet:

Du treuer Gott,
wir danken dir,
dass du durch Jesus noch einmal bekräftigst,
was du schon Israel versprochen hast.
Wir zweifeln manchmal an deiner Treue,
haben Angst, du könntest uns vielleicht übersehen
oder schon längst vergessen haben
mit unseren Sorgen.
Gott, hilf uns neu hoffen zu lernen
auch da, wo nach menschlichem Ermessen
kein Grund zur Hoffnung mehr besteht.
Präge uns deine Verlässlichkeit ein,
wenn wir uns verlassen glauben.
Mach uns mit allen, die zu dir gehören,
zu Zeugen deiner Barmherzigkeit und Güte
und lass Gerechtigkeit und Frieden wachsen
überall auf Erden.
Gott, Freundin des Lebens,
wir danken dir für alles Glück,
das du uns geschenkt hast.
Viele von uns können sagen:
Du hast uns von Kindheit an umgeben mit Menschen,
die uns mit Liebe begegnet sind,
die uns Raum gegeben haben
uns zu entfalten,
Zeit, unsere Sorgen anzuhören,
und die ein Herz hatten
auch für unsere Grenzen und Schwächen.
Bis heute genießen wir Freundschaft und Liebe
und viele sind dankbar, Gemeinschaft zu erfahren.
Gott lass uns in allem Glück, das uns widerfährt,
Spuren deiner Güte erkennen
und daraus in Zeiten von Verlust und Trauer
die Hoffnung schöpfen,
dass du uns weiter verbunden bleibst –
durch Jesus, den wir bekennen als unseren Weg
in der Heiligen Geistkraft.
Amen.

Schriftlesung: In ihm leben, weben und sind wir (Apg 17,24-28)

24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. 25 Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. 26 Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, 27 dass sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. 28 Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts..

Predigtlied: Evangelisches Gesangbuch, 271,1+4+8: Wie herrlich gibst du, Herr, dich zu erkennen
Predigt: Vom Gewebe der Welt (1.Korinther 2,1-10)

Ich geh doch immer auf dich zu
mit meinem ganzen Gehn;
denn wer bin ich und wer bist du,
wenn wir uns nicht verstehn?

In diesen Zeilen von Rainer Maria Rilke leuchten die wahren Fragen am Beginn eines neuen Jahres auf: Wo gehöre ich hin? Werde ich gesehen? Darf ich sein? Gehöre ich dazu? Diese Fragen kann ich mir nicht selbst beantworten. Eine Antwort lese ich bei Paulus im 1.Korintherbrief:

1 Als ich zu euch kam, meine Geschwister,
kam ich nicht, um wortgewaltige Reden
oder gelehrte Weisheit vorzutragen,
sondern um euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen.
2 Denn ich war überzeugt, dass während
meiner Zeit bei euch nichts so wichtig sei
wie der Gekreuzigte, der Retter Jesus.
3 Ich bin bei euch in Schwäche und Furcht
und mit großem Bangen aufgetreten;
4 meine Rede und Verkündigung bestanden nicht aus
gewinnenden Weisheitsworten, sondern kamen
aus der Erfahrung von Geist und gottgegebener Kraft.
5 So beruht euer Glaube nicht auf Menschenweisheit,
sondern auf der Kraft Gottes.
6 Wir reden dennoch von Weisheit
unter den Vollkommenen. Dies ist aber eine Weisheit,
die nicht von dieser Welt abhängt
und auch nicht von den Herrschenden dieser Welt.
Sie sind dabei, ihre Macht zu verlieren.
7 Wir reden von göttlicher Weisheit,
im Geheimnis verborgen,
die Gott vor aller Zeit bereitet hat, um uns
an der göttlichen Gegenwart teilhaben zu lassen.
8 Niemand von den Herrschenden dieser Welt
hat sie erkannt. Denn wenn sie die Weisheit
erkannt hätten, hätten sie den Repräsentanten
der göttlichen Gegenwart nicht gekreuzigt.
9 Vielmehr ist es gekommen, wie es geschrieben steht:
»Was kein Auge sah und kein Ohr hörte
und was in keines Menschen Herz hinaufstieg,
das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben.« (Jesaja 64,3)
10 Uns hat es Gott durch die Geistkraft enthüllt.
Die Geistkraft ergründet nämlich alles,
auch die Tiefen Gottes.

Die Antwort des Paulus heißt also: weder Jugend noch Schönheit, weder Bildung noch Erfolg, weder Herkunft noch Vernetzung, weder Gewandtheit noch Überzeugungskraft, weder Selbstbehauptung noch Auftritt und auch nichts anderes ist Voraussetzung, Zugangsvoraus-setzung zu Gott. In unseren Zeiten der permanenten Selbstoptimierung ist es heilsam, zu hören, dass es einen gibt, der immer schon bedingungslos ganz auf meiner Seite ist.

Paulus bringt seine Botschaft durch eine dreifach negative Formulierung zum Leuchten. Er zitiert aus dem Prophetenbuch Jesaja:

Was kein Auge sah und kein Ohr hörte
und was in keines Menschen Herz hinaufstieg,
das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben.

Mit diesen Worten erinnert Paulus daran, dass die Quellen, aus denen ich Erkenntnis und Sinn schöpfe, nicht unbegrenzt sind. Ich kann mit Augen sehen, mit Händen tasten, kann riechen und aus der Natur empirisches Wissen erlangen. Ich kann hören und lesen, was andere Menschen erleben, was frühere Generationen gedacht haben. Ich kann mit dem Herzen manches erahnen, habe sehnsüchtige und ängstliche Gefühle. Aber das Geheimnis Gottes kann ich auf diesem Weg nicht ergründen. Und weh denen, die meinen, Gott in der Hand zu haben, und exakt zu wissen, wie und wer er sei. Ich lasse Gott Gott sein und forme ihn nicht nach meinen Bildern und Vorstellungen.

Und dem entspricht das andere, das Paulus festhält: Auch wir Menschen sind im Letzten unergründlich. Niemand kann ein endgültiges Urteil über jemand anderen Fällen und sagen, ob du vertraust und liebst und aufrichtig bist oder nicht. Das ist der Respekt vor dem Gewissen, vor dem Innersten einer jeden und eines jeden. Und das bedeutet sich kein endgültiges Bild voneinander zu machen und festgefahrene Bilder loszulassen. Eine Entdeckungsreise zu beginnen und kreativ neue Seiten aneinander kennenzulernen. Dann kannst du und kann ich so sein und werden, wie Gott uns von Anfang an gemeint hat: verbindlich und frei.

Und diese zweifache Unergründbarkeit – die des Menschen und die Gottes, die bedingen einander. Nur Gottes Geistkraft ergründet alles. Und damit stoßen wir zum Kern unseres Glaubens vor. Denn der Glaube ist ja kein transzendentes Versicherungspaket. Er ist das Gegenteil einer Versicherung. Er ist eine ständige Verunsicherung, ohne die ich kein Vertrauen nötig hätte. Glaube ist das immer wieder neu gelebte Vertrauen in das Leben. Und weil sich das Leben jeden Augenblick ändert, muss auch das Vertrauen jeden Augenblick erneuert werden.

Und das Leben ist – mit David Steindl-Rast gesprochen – „das Gewebe der Welt und der Menschheit“. Dieser faszinierende bildhafte Gedanke des US-amerikanischen Benediktinermönchs lässt mich Glauben als ein gelebtes Ja zu gegenseitiger Zugehörigkeit verstehen. Und solange ich irgendjemanden aus dem Kreis der Zugehörigkeit ausschließe, füge ich dem Gewebe der Welt und der Menschheit einen Riss zu. Nur wo mein Zugehörigkeitsgefühl allumfassend ist, wirkt Gottes Geistkraft und bin ich nicht von Gott abgeschnitten.

In so einem Gewebe weiß ich mich gesichert, obwohl im Letzten weder Menschen noch Gott ganz und gar begreifbar sind. Dieses Unbegreifliche ist zugleich unaussprechlich. Aber ich kann es erfahren, indem ich mich davon ergreifen lasse – ohne es dadurch in den Griff zu bekommen. Paulus hat das an anderer Stelle wunderschön ausgedrückt durch den Satz (Apg 17,28a):

In Gott leben wir, weben wir und sind wir.

In Gott. In der göttlichen Wirklichkeit. Und die erschließt sich in Jesus, dem Gekreuzigten. Mehr kann ich von Gott nicht sehen als das, was sich im Leben und Sterben dieses Menschen aus Nazareth gezeigt hat. Jesus war ganz transparent. Gott leuchtet durch ihn hindurch, er leuchtet in ihm auf. Jesus ist gekommen, um mich von der falschen Auffassung zu heilen, dass ich von Gott getrennt bin. Sein Kreuzestod hat diese irrige Anschau¬ung vernichtend getroffen. Er ist gleichsam der Archetypus vom gött¬lichen Gewebe, der Einheit von Mensch und Gott, den ich in mir trage.

In Gott leben wir, weben wir und sind wir.

Amen.

Klavierzwischenspiel: Martin A. Seidl: Élévation Nr. 3 von Felix Alexandre Guilmant (1837 – 1911)
Fürbittengebet und Unservater:

Gott, in Jesus scheint dein Licht auf.
In den Sorgen dieser Tage bist du gegenwärtig.
In den Widersprüchen dieser Zeit
finden wir bei dir Klarheit.
Du hast Platz für unsere Sorge und unsere Angst.
Wir bitten dich:
Scheine in diese Welt
und in die Herzen der Mächtigen.
Leite ihre Gedanken und Pläne,
damit sie den Frieden suchen.
Scheine in diese Welt
angesichts der Bedrohungen
an der Grenze zu Russland,
dass die kleinen Werkzeuge der Diplomatie
mächtig genug sind,
die Hoffnungen und Erwartungen
vieler Menschen zu stärken
damit Wirklichkeit wird,
dass du in Jesus deinen Segen
für alle Menschen versprichst.
Scheine in diese Welt
und in die Krankenhäuser
und Pflegeinrichtungen.
Heile und rette,
damit Schmerzen enden und
die Zuversicht zurückkehrt.
Scheine in diese Welt
und tröste die Trauernden.
Segne ihre Erinnerungen
und gib ihnen Halt
im Vertrauen auf deine Nähe.
Scheine in diese Welt
und in die Debatten unter uns
um die Covid-Maßnahmen,
damit dein Wille zu Wahrheit und Trost
sich für alle als unsere Leitlinie erweist.
Lehre uns bedenken,
dass wir niemals für uns selbst leben,
sondern vor deinem Angesicht,
zum Wohl der Gemeinschaft,
in die du uns gestellt hast.
Scheine in diese Welt
und in deine Gemeinde.
Sprich zu uns und
zu allen, die zu uns gehören.
Dir sagen wir in der Stille,
was wir sonst noch auf dem Herzen haben
an Dank, Bitte und Fürbitte:

Stille

Und gemeinsam beten wir:
Unser Vater …

Abkündigungen:
Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, EG: 379,5: Gott wohnt in einem Lichte

5.) Nun darfst du in ihm leben und bist nie mehr allein,
darfst in ihm atmen, weben und immer bei ihm sein.
Den keiner je gesehen noch künftig sehen kann,
will dir zur Seite gehen und führt dich himmelan.

Orgelnachspiel: Martin A. Seidl: Vorspiel zu “Uns ist ein Kind geboren” von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)