Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, am 13. Februar 2022
mit Gerti Rohrmoser


Orgelvorspiel: Martin A. Seidl: Praeludium et Fuga ex g-Moll von Johann Caspar Ferdinand Fischer (1670-1746)
Lied: Evangelisches Gesangbuch, 452, 1-3 Er weckt mich alle Morgen

1) Er weckt mich alle Morgen;
er weckt mir selbst das Ohr.
Gott hält sich nicht verborgen,
führt mir den Tag empor,
daß ich mit seinem Worte
begrüß’ das neue Licht.
Schon an der Dämmerung Pforte
ist er mir nah und spricht.

2) Er spricht wie an dem Tage,
da er die Welt erschuf.
Da schweigen Angst und Klage;
nichts gilt mehr als sein Ruf!
Das Wort der ewigen Treue,
die Gott uns Menschen schwört,
erfahre ich aufs neue
so wie ein Jünger hört.

3) Er will, daß ich mich füge.
Ich gehe nicht zurück.
Hab’ nur in ihm Genüge,
in seinem Wort mein Glück.
Ich werde nicht zuschanden,
wenn ich nur ihn vernehm’:
Gott löst mich aus den Banden!
Gott macht mich ihm genehm!

Begrüßung:

Wenn wir jetzt zu dir kommen, Gott, mit unseren flehentlichen Bitten, dann nicht aufgrund unserer Guttaten, die wir nicht vorzuweisen haben, sondern allein in der Hoffnung auf dein nicht endendes Erbarmen!

Mit diesem Satz aus dem Buch des Propheten Daniel begrüße ich Sie/Euch herzlich zum Gottesdienst am heutigen Sonntag.
Ein Satz, der die Sicht auf uns und unser Tun ins Stolpern bringen kann, jedenfalls aber zum Nachdenken anregt; wie ist das mit unseren flehentlichen Bitten; bitten wir überhaupt noch flehentlich, fordern wir nicht viel eher? Meinen wir nicht meist wir hätten die guten Dinge im Leben verdient, sie stünden uns zu, aufgrund unserer, ja unserer Gut-Taten? Taten die wir uns zu gute halten?
Auf was hoffen wir denn? Auf Gottes Erbarmen? Wirklich? Nicht doch eher auf eine günstige Gelegenheit oder das Glück oder darauf, dass unser Konkurrent einen Fehler macht.
Ich finde, das sind gute und wichtige Fragestellungen um sie gemeinsam im Gottesdienst zu bedenken.

Bei allem aber, was wir hier heute und jeden Tag tun, dürfen wir darauf vertrauen, dass wir nicht allein gelassen sind mit unseren Zweifeln und Fragen. Gott geht mit uns, das ist sein Versprechen und darauf können wir uns verlassen; darum beginnen wir diesen Gottesdienst auch im Namen des Vaters, des Sohnes und der heiligen Geistkraft, die uns inspirieren und voranbringen möge.
Amen.

Gebet:

Guter Gott, so leben wir:
Zwischen Klugheit und Gerissenheit,
zwischen Gerechtigkeit und Eigennutz.
Schärfe unseren Blick dafür,
was anderen Menschen und uns
wirklich gut tut,
was uns gemeinsam nützt
und worauf wir miteinander vertrauen können.

Nimm von uns alle Selbstzufriedenheit
Und Überheblichkeit,
damit wir einander
in die Augen schauen können
offen und frei, ohne Hintergedanken
und Vorurteil.
Schenke du uns dazu
Mut und Kraft und Zuversicht
aus deinem Wort,
ein offenes Ohr und ein verstehendes Herz.
AMEN

Lesung: 1. Ko.9, 24-26: 

Ihr wisst doch: Die Läufer im Stadion, sie laufen zwar alle, den Siegespreis aber erhält nur einer. Lauft so, dass ihr den Sieg davontragt!
Wettkämpfer aber verzichten auf alles, jene, um einen vergänglichen Kranz zu erlangen, wir dagegen einen unvergänglichen. Ich laufe also, aber nicht wie einer, der ziellos läuft, ich boxe, aber nicht wie einer, der ins Leere schlägt; vielmehr traktiere ich meinen Körper und mache ihn mir gefügig, denn ich will nicht einer werden, der anderen predigt, sich selber aber nicht bewährt
.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 351 1-3.6 Ist Gott für mich

1) Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich;
so oft ich ruf und bete, weicht alles hinter sich.
Hab ich das Haupt zum Freunde und bin geliebt bei Gott,
was kann mir tun der Feinde und Widersacher Rott?

2) Nun weiß und glaub ich feste, ich rühms auch ohne Scheu,
dass Gott, der Höchst und Beste, mein Freund und Vater sei
und dass in allen Fällen er mir zur Rechten steh
und dämpfe Sturm und Wellen und was mir bringet Weh.

3) Der Grund, da ich mich gründe, ist Christus und sein Blut;
das machet, dass ich finde das ewge, wahre Gut.
An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd;
was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert.

6) Sein Geist wohn mir im Herzen, regiert mir meinen Sinn,
vertreibet Sorg und Schmerzen, nimmt allen Kummer hin,
gibt Segen und Gedeihen dem, was er in mir schafft,
hilft mir das Abba schreien aus aller meiner Kraft.

Predigt: Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt!

Der Text, den ich für die heutige Predigt ausgewählt habe steht im Buch des Propheten Jeremia. Er ist einer der großen Propheten des ersten Testaments.

Er lebt in einer wilden und bösen Zeit voller Gewalt, Menschenverachtung und Gottvergessenheit. Der Auftrag den Gott ihm zugedacht hat ist, gegen diese schlimmen Zustände anzupredigen, die Menschen wachzurütteln und wieder auf den rechten Weg als Gottes Volk zurückzuführen. Schlimme Konsequenzen lässt Gott seinem Volk durch Jeremia androhen für ihr zügelloses Treiben.

Und Jeremia? Tapfer und unaufhörlich kommt er Gottes Auftrag nach. Manchmal hadert er mit Gott, manchmal ist er verzweifelt. Aber er versucht sich nicht zu drücken. Mehr als 40 Jahre lang predigt er seinen Landsleuten ob ihrer Schlechtigkeit den drohenden Untergang. Hat er Erfolg? Nein. Er wird ausgelacht, verspottet, aus der Gesellschaft seiner Zeit ausgeschlossen, verprügelt, gefoltert und ins Gefängnis geworfen. Gibt es letztlich doch noch ein Happy End? Nein. Er redet und schreit in taube Ohren. Israel meint es braucht keinen Gott mehr, es ist sich selbst genug, Am Ende erlebt Jeremia mit seinem Volk in die Deportation, die Verschleppung nach Babylon und die Zerstörung des Tempels in Jerusalem.

Noch relativ am Anfang seiner langen und erfolglosen Karriere hat er seinen Mitmenschen folgendes auszurichten:

So spricht der HERR: Wer weise ist, rühme sich nicht seiner Weisheit, und der Starke rühme sich nicht seiner Stärke, wer reich ist, rühme sich nicht seines Reichtums.

Sondern dessen rühme sich, wer sich rühmt: einsichtig zu sein und mich zu erkennen, dass ich, der HERR, es bin, der Gnade, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden, denn daran habe ich Gefallen. Spruch des HERRN.

Liebe Gemeinde,

so hört es sich also an, wenn Gott gegen Menschen protestiert. Der Grund seiner Protestaktion ist seine Unzufriedenheit. Gott fühlt sich von seinem Volk ungerecht behandelt. Er fühlt sich von den Menschen unberücksichtigt und übergangen. Man schenkt ihm keine Beachtung mehr, was er zu sagen hat, trifft schon viel zu lange nicht mehr auf offenen Ohren.
Und Gott protestiert mit lauter Prophetenstimme, denn die Menschen haben ihn an den Rand ihres Lebens gedrängt, größtenteils ignorieren sie ihn und bilden sich unglaublich viel auf sich selbst ein.
Das bei uns so geläufige Sprichwort: „Eigenlob stinkt!“ ist noch viel zu schwach, um das Verhalten der Menschen damals zu beschreiben. Denn es war nicht nur so, dass sie sich selbst in den Vordergrund stellten mit ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten; nein, es war nicht nur so, dass sie sich brüsteten mit ihrer Klugheit und Intelligenz; o nein, es war nicht nur so, dass sie überaus stolz waren auf das, was sie an Weisheit erlangt hatten, was sie an Reichtum erwirtschaftet und an politischer Stärke erreicht hatten.
Nein, das alles, diese Äußerlichkeiten, dieses eitle, sich selbst genug seiende Gebaren und selbstverherrlichende Geprahle, das waren nur die oberflächlichen Symptome einer Krankheit, die sehr viel tiefer saß. Die Ursache, das eigentlich Übel, wogegen Gott so vehement protestiert, füllte den Menschen Herz und Gedanken völlig aus, und bestimmte ihr gesamtes Wesen und Verhalten.
Wollte man diesen Zustand mit einem einzigen Wort umschreiben, dann wäre das Wort „Hybris“ zutreffend. Hybris steht für frevelhaften Übermut; für menschliche Vermessenheit und Überheblichkeit.
Hybris meint die maßlose Selbstüberschätzung eines Menschen und zugleich – damit verbunden – die Ignoranz einer göttlichen Autorität über sich.
Schon die großen Theologen im Mittelalter und in der Reformationszeit bezeichneten mit dem Wort „Hybris“ die erste und entscheidende Sünde im Paradies. Das Hören auf die Stimme, die da sagt:
‚Sollte Gott gesagt haben – ach nein, wir geben nichts darauf. Wir wissen es besser, was für uns gut und richtig ist. Wir brauchen keinen Gott über uns, der uns etwas zu sagen oder vorzuschreiben hätte. Wir ignorieren das, was
Gott uns sagt, denn wir halten uns selbst für klug genug und stark genug, um unser Leben selbst zu bestimmen.’
Menschen, die an dieser Krankheit leiden machen sich ihre eigenen Gesetze, und selbstverständlich sind das nur solche, die ihnen gefallen und die aus ihrer Perspektive einträglich und vielversprechend sind – vor allem für sie selbst.
Menschen, die an Hybris leiden, sagen: Was brauchen wir einen Gott über uns, wo wir doch selbst unseren gesunden Menschenverstand gebrauchen können? Mit unserer Intelligenz lösen wir alle Probleme selbst. Wir sind uns selbst unsere eigenen Götter; wir sind selbst die höchste Autorität, wenn es um Fragen des Lebens geht…

Ihr Lieben,
diese Krankheit hatte sich zu Jeremias Zeiten wie eine Epidemie ausgebreitet. Und sie wurde von Generation zu Generation weitergegeben und wurde pandemisch, weltumspannend. Die Kinder wurden von den Eltern infiziert; sie machten sich diese Lebenseinstellung auch zu eigen, und das schlimme daran war: Keiner merkte es oder wollte es wahrhaben, keiner sah es ein, dass sie einer tödlichen Krankheit zum Opfer gefallen waren.
Es erschien ihnen so schön, so problemlos, so frei und selbstbestimmt – ein Leben ohne Gott, ohne göttliche Regeln, Weisungen und Gebote. – Die Hybris sagte: Was brauchen wir einen Gott? Wir haben doch uns selbst! Es lässt sich viel besser leben ohne Gott!
Die alten Griechen erzählten in ihren Tragödien, dass die Hybris eines Menschen zur Zügellosigkeit führt und dass sie Rücksichtslosigkeit und mutwillige Gewalt mit sich bringt. Sie sagten: Menschen, die von der Hybris befallen sind, seien wie überfütterte Esel, die schreien und aufstampfen und Zerstörung anrichten. – Sehr schlau, die alten Griechen, die so viel Menschenkenntnis hatten…
Aber noch viel früher diagnostiziert Gott diese Krankheit bei den Menschen seines Volkes, und durch Prophetenstimmen protestiert er dagegen, dass sich seine Menschen von der Hybris so vereinnahmen lassen. Gott protestiert, weil die Menschen nicht schuldlose und willenlose Opfer dieser Krankheit geworden sind, sondern weil sie sich ihr bereitwillig und aus freien Stücken unterworfen haben.
Der Nährboden für diese Seuche war die Gottvergessenheit. Ja mehr noch, nicht nur die Vergessenheit, sondern die bewusste Abschiebung. Sie hatten Gott bewusst und willentlich aus ihrem Leben und aus ihren Entscheidungsprozessen ausgeblendet. Es wurde ihm das Recht aberkannt, maßgebende und wegweisende Worte sagen zu dürfen und die letztliche Entscheidungsgewalt zu haben.
Heute schaue ich mich um und stelle fest, dass es mittlerweile nicht anders geworden ist! In welchen Lebensbereichen oder bei welchen Entscheidungen wird Gott von uns noch mitbedacht? Auf welchen politischen und gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökologischen und zwischenmenschlichen Ebenen wird eigentlich noch von Gott gesprochen? Herrscht sie da nicht auch, diese schleichende, giftige, scheinbar unausrottbare Krankheit, die sagt:
Wir machen das schon selbst, und zwar so, wie wir es für richtig und zeitgemäß halten. Was brauchen wir Gott?
Ihr Lieben, mir scheint, die Weitergabe dieser äüßerst ansteckenden und folgenschweren Pandemie von Generation zu Generation hat bis heute lückenlos funktioniert. Und nach wie vor infizieren Eltern ihre Kinder, Kinder ihre Eltern, Freunde und Ehepartner infizieren sich immer wieder gegenseitig mit dem Virus „Hybris“.
Sehr verständlich, dass Gott dagegen protestiert. Doch Protest alleine reicht nicht. Gott läßt uns durch Jeremia einen ironischen Rat ausrichten:
„Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, einsichtig zu sein und mich zu erkennen““. Das ist deshalb ironisch, weil genau das unmöglich ist. Denn wer kann sich schon rühmen, Gott zu kennen? Was für ein Größenwahn!
Dass Jeremia hier etwas Unmögliches vorschlägt, zeigt sich noch deutlicher, wenn man einmal darauf achtet, welche Worte er verwendet.
Für uns hat das Wort „kennen“ einen rationalen, fast schon oberflächlichen Klang. Aber Jeremia verwendet das gleiche Verb, das auch in der Schöpfungsgeschichte für die Liebe zwischen Adam und Eva verwendet wird: „Und Adam erkannt sein Weib“ heißt es da. Und dann soll ich mich rühmen, Gott so gut zu kennen, wie einen Lebenspartner? Hält man sich dann noch vor Augen, dass mit „kennen“ auch „nachahmen“, also nicht nur Wissen, sondern auch Handeln gemeint ist, dann wird klar, dass Jeremia keine letzte Möglichkeit des Sich-doch -noch -Rühmen-Dürfens aufzeigt, sondern ein Rühmen auf der Grundlage eigener Frömmigkeit für unmöglich hält.
Der Vorschlag des Jeremia kehrt also die Perspektive um: Nicht ich bin zu rühmen, sondern Gott. Mir kommt es zu, ihn um Erkenntnis und um die Kraft zur Nachfolge zu bitten.
Und Nachfolge ist bitter nötig. Denn trotz aller Weisheit, trotz aller Macht und trotz allen Reichtums herrschen katastrophale Zustände im Land.
Selbst wenn die Gebildeten, die Politiker und die Reichen sich nicht mehr rühmen, so ist damit für die Zustände nicht viel gewonnen. Der Prophet Jeremia hat bei der Beschreibung der Lage seiner Zeit kein Blatt vor den Mund genommen. In den Versen unmittelbar vor unserem Predigttext heißt es:
„Sie schießen mit ihren Zungen lauter Lüge und keine Wahrheit und es herrscht Gewalt im Lande und ihre Bosheit, mich aber achten sie nicht, spricht der Herr. … Ein Freund täuscht den anderen, sie reden kein wahres Wort; sie haben sich daran gewöhnt, dass einer den andern betrügt. Sie freveln und es ist ihnen leid umzukehren. Es ist allenthalben nichts als Trug unter ihnen, und vor lauter Trug wollen sie mich nicht kennen… Darum spricht der Herr Zebaoth:
Siehe, ich will sie schmelzen und prüfen … So spricht der Herr: Die Leichen der Menschen sollen liegen wie Dünger auf dem Felde und wie Garben hinter dem Schnitter, die niemand sammelt.“
Jeremia kündigt Unheil an – und es tritt ein. Der Tempel wird zerstört und das Volk ins babylonische Exil geführt. Vor allem aber wollte Jeremia warnen. Seine permanente und zornige Predigt über die moralischen, sozialen und politischen Zustände soll aufrütteln. Ein „Ruck“ sollte durch’ s Volk gehen. Aber das Volk überhörte Jeremias Warnungen. Und auch wir nehmen Berichte über besorgniserregende Entwicklungen mit erstaunlichem Gleichmut hin.
Fast schon im Stile Jeremias veröffentlichte Anfang 2006 der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer Ergebnisse einer Langzeitstudie, die in meinen Augen leider nichts an Aktualität verloren hat. Er stellt die Diagnose einer „verstörten Gesellschaft“. Das Gefühl, in einer solidarischen, fairen und gerechten Gesellschaft zu leben, habe in den vorangehenden Jahren signifikant abgenommen. Der Zweifel an der Hilfsbereitschaft habe ebenso zugenommen wie die Vorurteilsbereitschaft gegenüber schwachen Gruppen in der Gesellschaft.
Gefühle der Ohnmacht und des politischen Kontrollverlustes haben zu einer bisher nicht gekannten Orientierungslosigkeit geführt. Überzeugende Visionen seien nicht in Sicht…. schreibt Heitmeyer.

Jeremias Vision halte ich jedoch durchaus für überzeugend. Anstatt sich der eigenen Weisheit, der eigenen Macht und des eigenen Reichtums zu rühmen, müssen wir erkennen, dass Gott Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit ausgeübt sehen will. Es geht also nicht um Attribute, die man einem Menschen zuschreibt: Weisheit, Macht und Reichtum – nicht um „mein Doktortitel, meine Muskeln, meine Goldbarren“, sondern darum, wie der Mensch handelt. Die drei Begriffe Barmherzigkeit,
Recht und Gerechtigkeit beschreiben also die Weisheit, die Stärke und den Reichtum, der vor Gott gilt;

Ist der Weise barmherzig genug, um wirklich weise zu sein?
Barmherzigkeit kann man auch mit Herzensgüte oder ganz einfach mit:
Liebe- übersetzen. Kalte Analyse ist noch keine Weisheit. Ohne Liebe, ohne eine Kultur der Anerkennung bleibt Wissen zynische Macht.
Fühlt sich der Mächtige dem Recht verpflichtet?
Recht schränkt Handlungsmöglichkeiten ein. Der Ruf nach mehr Deregulierung darf nicht dazu führen, dass das Recht, auf dem das friedliche Zusammenleben ruht, ausgehöhlt wird.
Haben die Reichen noch ein Gefühl für Gerechtigkeit? Gerechter Lohn ist nicht nur ein Thema, das die Gewerkschaften zu interessieren hat. Ein Gemeinwesen, in dem das Gespür dafür verloren geht, dass es nicht mehr gerecht zugeht, kann nicht produktiv sein.
Ein Volk, das keine Liebe übt, in dem das Recht verachtet und soziale Gerechtigkeit als wachstumshemmend denunziert wird, hat keine Zukunft. So einfach ist das. So eng hängen Gottes Gebot und der Menschen Wohlergehen zusammen.
In der Heitmeyer-Studie heißt es: „Gefährlicher Orientierungslosigkeit kann nur durch überzeugende Visionen zur Zukunft dieser Gesellschaft entgegengewirkt werden.“ Vielleicht sollten wir Christen es wagen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt ehr viel lauter darauf hinzuweisen, dass in den beiden Testamenten der Heiligen Schrift eine ziemlich überzeugende Vision nicht nur zur Zukunft jedes einzelnen von uns, sondern auch zur Zukunft einer Gesellschaft vorliegt.
Die Chancen, Gehör zu finden, und nicht Jeremias Erfahrungen zum x-ten Mal wiederholen zu müssen, könnten damit um ein Vielfaches steigen.
AMEN

Fürbitte:

Guter Gott,
wir danken dir, dass du unser Freund geblieben bist
durch all die wechselvollen Zeiten hindurch.
Denn unbegreiflich sind uns oft deine Urteile
und unerforschlich deine Wege.
Während wir uns in Zweifeln verlieren,
bist du auf der Suche nach uns.
Wo wir das Dunkel der Welt beklagen, schaffst du neues Leben.
Wenn wir bang und ungeduldig fragen, was aus uns wird,
bewahrst du uns in deiner gütigen Hand,
und schenkst uns Dein Geleit so,
wie Du es immer getan hast und tun wirst.

Lass die Botschaft von deiner Gnade
Unter den Menschen nicht verstummen.
Hilf, dass sie nicht durch selbsterdachte Parolen und vernünftig scheinende Überlegungen überschattet wird.
Lass Dein Wort dröhnen und klingeln und summen und flüstern
In unseren Ohren
Füll unser Herz
Und unsere Gedanken damit,
so dass das Prahlen und sich Rühmen
der selbsternannten Herren der Welt
kein Platz mehr findet
sich in unseren Köpfen einzunisten
und uns zu beeindrucken.

Lehre uns darauf zu achten,
wie du dein Volk in der Geschichte führst.
Mach uns offen für deine Wege mit Menschen,
die uns fremd sind.
Lass uns danach fragen, was du uns durch sie sagen willst.

Bewahre uns davor,
uns selbst zu Richtern über andere zu erheben.
Bewahre uns davor,
die eigenen Deutungen des Lebens zur allein gültigen Wahrheit zu erklären. Bewahre uns vor der Verzweiflung,
angesichts des Dunkels in unserem eigenen Geschick.

Sei Du es, guter Gott,
der dem Elend in der Welt ein Ende setzt!
Schlage Du den Kriegern
die Waffen aus der Hand
und gebiete Einhalt den Machtkämpfen unter den Mächtigen, in der Gesellschaft, an den Arbeitsplätzen und in Familien und Gemeinden.

Stehe den Kranken und Sterbenden,
den Trauernden, den Einsamen,
den Ratlosen, den Verzweifelten und allen bei,
die aus der Bahn geraten sind.
jeden Tag neu.

Und hilf uns, guter Gott,
das unsere zu tun,
um das, was Du für uns tust
sichtbar und spürbar zu machen
in unserer Welt,
die doch die deine ist.
AMEN …

Segen:

Der Herr segne dich.
Er erfülle deine Füße mit Tanz
und deine Arme mit Kraft.
Er erfülle dein Herz mit Zärtlichkeit
und deine Augen mit Lachen.
Er erfülle deine Ohren mit Musik
und deine Nase mit Wohlgerüchen.
Er erfülle deinen Mund mit Jubel
und dein Herz mit Freude.
Er schenke dir immer neu die Gnade der Wüste:
Stille, frisches Wasser und neue Hoffnung.
Er gebe uns allen immer neu die Kraft,
der Hoffnung ein Gesicht zu geben.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, EG: 352, 1-4: Alles ist an Gottes Segen

Orgelnachspiel: Martin A. Seidl: Toccata in D-Dur zugeschrieben Johann Krieger (1651-1735)