Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, am 10. April 2022
mit Robert Colditz


Orgelvorspiel: Juliane Schleehahn: Allegro moderato maestoso von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847)
Lied: Evangelisches Gesangbuch, 13, 1-3: Tochter Zion, freue dich

1) Tochter Zion, freue dich,
jauchze laut, Jerusalem!
Sieh, dein König kommt zu dir,
ja er kommt, der Friedefürst.
Tochter Zion, freue dich,
jauchze laut, Jerusalem!

2) Hosianna, Davids Sohn,
sei gesegnet deinem Volk!
Gründe nun dein ewig Reich,
Hosianna in der Höh!
Hosianna, Davids Sohn,
sei gesegnet deinem Volk!

4) Hosianna, Davids Sohn,
sei gegrüßet, König mild!
Ewig steht dein Friedensthron,
du, des ewgen Vaters Kind.
Hosianna, Davids Sohn,
sei gegrüßet, König mild!

Psalm 24, 9f:

„Erhebt, ihr Tore, eure Häupter, erhebt euch, ihr Uralten Pforten, dass einziehe der König der Herrlichkeit. Wer ist der König der Herrlichkeit? Der HERR der Heerscharen, er ist der König der Herrlichkeit.“

Mit diesen Worten, die wahrscheinlich üblicherweise am Eingang des Tempels in Jerusalem gesprochen wurden, beginnen wir unseren heutigen Gottesdienst zum Palmsonntag, in der feierlichen Erinnerung daran, dass Jesus zu eben diesem Tempel kam und mit der ebenso feierlichen Frage, was das für uns bedeutet. Wir feiern im Namen unserer immer schon anwesenden Gottheit, unseres Erlösers Jesus und unseres heiligen Geistesnetzwerks. Amen.

Lasst uns beten:

Gott,
wir sind hier, so wie wir sind, voller Verstrickungen und voller Erwartungen,

wir sind bereit, auf Dich zu hören, Dir unseren Geist, unsere Herzen, unsere Seele zu öffnen.

Lass uns zur Ruhe kommen, lass uns ablegen, was wir mit uns tragen, weil andere oder wir selbst es uns auferlegt haben.

Nimm uns jegliche Verwirrung, dass wir starke Männer bräuchten um was auch immer zu lösen.

Wir danken Dir, dass wir vor Dir aufrecht stehen können, unserem König der Herrlichkeit. Du zeigst Deine Macht und Stärke, indem Du uns dienst, so lass auch uns einander dienen.
Amen.

Lesung: Mk 11, 1-11:

1 Und als sie in die Nähe von Jerusalem kommen, nach Betfage und Betanien an den Ölberg, sendet er zwei seiner Jünger aus 2 und sagt zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich wenn ihr hineinkommt, werdet ihr ein Füllen angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet es los und bringt es her! 3 Und wenn jemand zu euch sagt: Was tut ihr da?, so sagt: Der Herr braucht es und schickt es sogleich wieder zurück. 4 Da gingen sie und fanden ein Füllen, angebunden an einer Tür draussen an der Strasse, und sie banden es los. 5 Und einige von denen, die dort standen, sagten zu ihnen: Was führt euch dazu, das Füllen loszubinden? 6 Sie aber gaben zur Antwort, was Jesus ihnen gesagt hatte, und man liess sie gewähren. 7 Und sie bringen das Füllen zu Jesus und legen ihre Kleider darüber, und er setzte sich darauf. 8 Und viele breiteten auf dem Weg ihre Kleider aus, andere streuten Zweige, die sie auf den Feldern abgeschnitten hatten. 9 Und die vorausgingen und die hinterhergingen, riefen: Hosanna, gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! 10 Gepriesen sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt, Hosanna in der Höhe! 11 Und er kam nach Jerusalem in den Tempel. Er schaute sich ringsum alles an und ging, da es schon spät war, mit den Zwölfen nach Betanien hinaus.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 574, 1-4: Meine engen Grenzen

1) Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht bringe ich vor dich.
Wandle sie in Weite: Herr, erbarme dich.

2) Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt, bringe ich vor dich.
Wandle sie in Stärke: Herr, erbarme dich.

3) Mein verlornes Zutraun, meine Ängstlichkeit bringe ich vor dich.
Wandle sie in Wärme: Herr, erbarme dich.

4) Meine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit bringe ich vor dich.
Wandle sie in Heimat: Herr, erbarme dich.

Kanzelgruß, Predigttext, Predigt:

Lk 10,1-12: 1 Danach bestimmte der Herr weitere zweiundsiebzig und sandte sie zu zweien vor sich her in jede Stadt und jede Ortschaft, in die er gehen wollte. 2 Er sagte zu ihnen: Die Ernte ist gross, Arbeiter aber sind nur wenige. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende. 3 Geht! Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. 4 Nehmt keinen Geldbeutel mit, keinen Sack, keine Schuhe, und grüsst niemanden unterwegs! 5 Tretet ihr in ein Haus ein, so sagt zuerst: Friede diesem Haus! 6 Und wenn dort ein Sohn des Friedens ist, wird euer Friede auf ihm ruhen, wenn aber nicht, wird er zu euch zurückkehren. 7 In diesem Haus bleibt, esst und trinkt, was ihr von ihnen bekommt. Denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert. Geht nicht von einem Haus ins andere. 8 Kommt ihr in eine Stadt, wo man euch aufnimmt, so esst, was euch vorgesetzt wird, 9 und heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Nahe gekommen ist das Reich Gottes, bis zu euch. 10 Kommt ihr aber in eine Stadt, wo man euch nicht aufnimmt, so geht hinaus auf ihre Strassen und sagt: 11 Selbst den Staub aus eurer Stadt, der an unseren Füssen klebt, schütteln wir ab vor euch; doch das sollt ihr wissen: Nahe gekommen ist das Reich Gottes. 12 Ich sage euch: Sodom wird es an jenem Tag besser ergehen als dieser Stadt.

Liebe Gemeinde!

Wie kann der Verzicht, der in diesem Bibeltext gefordert wird, etwas bringen? Wie kann das Weniger einen Mehrwert haben?

Wie kann das bei uns einfachen Menschen heute funktionieren? Wir merken doch meistens: wer mehr hat, gilt auch mehr. Da möchte jede und jeder eben mehr, statt weniger haben. Andererseits wird uns gerade heutzutage immer mehr bewusst: was ich mehr habe, fehlt anderen oder ist gefährlich für das Gleichgewicht mit der Natur, ohne die wir nicht leben können.

Unser Bibeltext will uns jedenfalls alle persönlich ansprechen. Das hat mit dieser komischen Zahl 72 zu tun: es ist die Zahl aller Völker, die nach der Sintflut die Welt bewohnen. Nicht nur die speziellen 12 Schüler von Jesus, wie Lukas im vorhergehenden Kapitel erzählt hat, sondern jede und jeder Einzelne von uns ist von Jesus beauftragt in seine Ernte – also seine Mission, seinen Auftrag zu leben. Und das geht offenbar nur, wenn wir auf einiges verzichten. Das was er aufzählt: Geld, Besitz, sogar Schuhe (ok, das mit den Schuhen gelingt in einem Land wie Israel besser als in Österreich) und das Grüßen, hält uns nämlich davon ab, andere Menschen kennenzulernen. Gegrüßt wurden ja nur Menschen, die man eh schon kannte und dieses Grüßen von Bekannten dauert in Ländern des Nahen Ostens oft stundenlang, weil es als unhöflich gilt sich nicht genauestens nach dem Befinden sämtlicher Verwandten zu erkundigen. Durch den Verzicht auf Geld, Besitz und das Grüßen von Bekannten sind wir auf unbekannte andere Menschen angewiesen. Und das ist es was Jesus erreichen will. Bei ihm läuft das „Weniger ist mehr“ darauf hinaus, dass uns Dinge weniger wichtig sind und stattdessen der menschliche Zusammenhalt wichtiger ist und stärker wird. Beides – der materielle Verzicht und der menschliche Zusammenhalt – führt uns zum inneren Frieden. Nur mit diesem inneren Frieden ist ein gutes Leben möglich. Er hilft uns auch bei enttäuschenden Erfahrungen, die wir alle machen müssen. Denn Unbefriedigendes hat dann keinen Einfluss auf uns, wie es so schön heißt: Euer Friede wird zu Euch zurückkehren.

Jesus gibt uns auch effektive Verhaltensregeln für das Zusammensein mit den Menschen, die wir kennenlernen und die unseren Friedensgruß annehmen: wir akzeptieren sie, wie sie sind (auch wenn wir sie gerne ändern würden, weil man z.B. gute Einwände gegen ihr Essen hat – beim Essen gab und gibt es ja immer etwas, worüber man streiten könnte), erst im Lauf der Zeit können wir ihnen klar machen, was uns wichtig ist und können wir gemeinsam noch genauer feststellen, was für uns alle wichtig ist. Es lohnt sich mit Menschen zu sprechen, deren Meinung man nicht teilt, aber es braucht Zeit, deswegen soll man lange genug in deren Haus bleiben. Und für Jesus ist immer wichtig, dass wir den Schwachen gegenüber aufmerksam sind – das griechische Wort, das im Text verwendet wird, bedeutet nicht nur Kranke, sondern ganz allgemein Schwache in jeder Hinsicht. Es geht also darum, dass unsere Beziehungen heilsam sind.

Darauf kommt es Jesus auch bei seinem Einzug in Jerusalem am sogenannten Palmsonntag an. Es geht ihm nicht um die Errichtung des Königtums der David-Dynastie. Sondern darum, dass das Reich Gottes, bzw. wie es im Griechischen genauer heißt: die Königsherrschaft Gottes, Einzug nimmt, wie wir es im Psalm 24 gehört haben. Das funktioniert nicht durch die Errichtung einer äußerlichen Autorität, die Königsherrschaft Gottes nimmt Gestalt an, wenn wir uns verändern und dafür öffnen. Deswegen bricht Markus den Bericht über Jesu Einzug in Jerusalem so eigenartig ab. Statt dass er seine Herrschaft im Tempel antritt, verzichtet er bewusst darauf und kehrt er mit den Zwölfen nach Betanien zurück, wo Menschen seiner Nachfolgegemeinschaft wohnen. Denn dort wächst die Königsherrschaft Gottes in den Beziehungsnetzwerken.

Jesus ruft uns in seine Nachfolgegemeinschaft, nicht mit Autorität, sondern durch seinen inneren Frieden, der auf uns ruht. Dabei wird vieles, was uns wichtig erscheint, völlig unwichtig und andererseits entdecken wir, dass wir tatsächlich unter Wölfen bestehen können, da sie uns unseren inneren Frieden nicht nehmen können – lediglich ihren Staub müssen wir uns halt immer wieder von unseren Füßen schütteln. Deswegen sind wir immer eingeladen Verzicht zu üben. Die Zeit vor Ostern kann eine besondere Einladung für uns sein freiwillig auf etwas zu verzichten und draufzukommen, wie wenig ich brauche um zufrieden zu sein. Und wenn ich dann mit diesem inneren Frieden auf andere zugehe, dann können wir das Reich Gottes im hier und jetzt erleben. Und mehr als das geht doch gar nicht oder?
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 636, 1-4: Selig seid ihr

1) Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt, selig seid ihr, wenn ihr Lasten tragt.

2) Selig seid ihr, wenn ihr lieben lernt, selig seid ihr, wenn ihr Güte wagt.

3) Selig seid ihr, wenn ihr Leiden merkt, selig seid ihr, wenn ihr ehrlich bleibt.

4) Selig seid ihr, wenn ihr Frieden macht, selig seid ihr, wenn ihr Unrecht spürt.

Lasst uns beten:

Gott,

wir danken Dir, dass wir in unserer Gemeinde und darüber hinaus Zusammenhalt erfahren,

wir danken Dir, dass wir die Fähigkeit haben auf vieles verzichten und dennoch zufrieden sein zu können,

es hilft uns unter den aggressiven Problemen mit denen wir einerseits persönlich und andererseits als Weltgemeinschaft konfrontiert sind, bestehen zu können.

Mach uns bewusst, wie Dein Friede in uns wirkt und was wir noch mehr zum Zusammenhalt in unseren kleinen und großen Netzwerken beitragen können

und dass es sich lohnt mit uns bislang unbekannten Mitmenschen Kontakt aufzunehmen.

Wir beten für die, die sich nach Heilung, sowohl körperlicher, wie auch geistiger oder sozialer Art, sehnen, lass sie Menschen finden, die ihnen helfen.

Wir beten für die, die von Angst beherrscht werden und keinen Frieden in sich finden, lass sie zur Ruhe kommen.

Wir beten für die, denen alles, was sie hatten, genommen wurde bzw. die durch Lügen, Ausbeutung und Krieg terrorisiert werden, lass sie ihr Vertrauen auf Dich und ihren inneren Frieden nicht verlieren.

Wir beten für alle, die sich Christinnen oder Christen nennen, dass sie erkennen, dass und wie sie als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Ernte Jesu Christi gesandt sind.

Was wir Dir jetzt persönlich sagen wollen, sagen wir Dir in unserer gemeinsamen Stille: …

Weil wir verbunden sind durch und uns immer einklinken können in das Netzwerk Deines Heiligen Geistes beten wir miteinander und mit vielen Menschen weltweit mit Deinen Worten: …

Unser Vater im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 395, 1-2: Vertraut den neuen Wegen

1) Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist, weil Leben heißt: sich regen, weil Leben wandern heißt. Seit leuchtend Gottes Bogen am hohen Himmel stand, sind Menschen ausgezogen in das gelobte Land.

2) Vertraut den neuen Wegen und wandert in die Zeit! Gott will, dass ihr ein Segen für seine Erde seid. Der uns in frühen Zeiten das Leben eingehaucht, der wird uns dahin leiten, wo er uns will und braucht.

Abkündigungen:
Erheben wir uns für den Zuspruch des Segens:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 395, 3: Vertraut den neuen Wegen

3) Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt! Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land. Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.

Orgelnachspiel: Juliane Schleehahn: Nr.21 aus “Album für die Jugend” von Robert Schumann (1810 – 1856)