Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche, Wien-Favoriten,
30. August 2020
mit Pfr.i.R. Karl Weinberger


Präludium: Martin Seidl: Johann Gottfried Walther (1684 – 1748): Nun lob, mein Seel, den Herren
Spruch: Jesaya 42, 3a:

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Begrüßung:

Wir dürfen auch Heute darauf vertrauen dass Gott uns durch unsere Schwachheit trägt und. Er richtet uns auf und stärkt uns. So feiern wir in seiner Gegenwart und legen all unsere Bürde vor ihn.
Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen

Gebet:

Du bist befreundet mit allen,
die krank geworden sind an unserer Welt.
Überrasche uns, guter Gott:
Was uns angst macht, wendet sich zum Guten;
Was wir schwarz sehen, nimmt Farbe an.
Überrasche uns damit, Gott,
dass wir Auswege beschreiten und erleben;
Sie führen weiter.
Gott, du Befreier,
führe uns aus der Enge, in der wie gefangen sitzen.
Erlöse uns von den Vorschriften, auf die wir uns festlegen und berufen,
dass wir wieder rauskommen und uns am Leben freuen. Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 289, 1, 2, 5: Nun lob, mein Seel, den Herren

1) Nun lob, mein Seel, den Herren,
was in mir ist, den Namen sein.
Sein Wohltat tut er mehren,
vergiss es nicht, o Herze mein.
Hat dir dein Sünd vergeben
und heilt dein Schwachheit groß,
errett’ dein armes Leben,
nimmt dich in seinen Schoß,
mit reichem Trost beschüttet,
verjüngt, dem Adler gleich;
der Herr schafft Recht, behütet,
die leidn in seinem Reich.

2) Er hat uns wissen lassen
sein herrlich Recht und sein Gericht,
dazu sein Güt ohn Maßen,
es mangelt an Erbarmung nicht;
sein’ Zorn lässt er wohl fahren,
straft nicht nach unsrer Schuld,
die Gnad tut er nicht sparen,
den Schwachen ist er hold;
sein Güt ist hoch erhaben
ob den’, die fürchten ihn;
so fern der Ost vom Abend,
ist unsre Sünd dahin.

5) Sei Lob und Preis mit Ehren
Gott Vater, Sohn und Heilgem Geist!
Der wolle in uns mehren,
was er aus Gnaden uns verheißt,
dass wir ihm fest vertrauen,
uns gründen ganz auf ihn,
von Herzen auf ihn bauen,
dass unser Mut und Sinn
ihm allezeit anhangen.
Drauf singen wir zur Stund:
Amen, wir werden’s erlangen,
glaubn wir von Herzensgrund
.

Predigttext: Markus 8, 22-25

Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten, dass er ihn anrühre.
Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas?
Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen.
Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott………

Liebe Gemeinde!

Einfach ist es ja nicht, über Wunder zu sprechen. Zum einen möchte man ja keine falschen Hoffnungen wecken und zum anderen nicht „blauäugiges“ von sich geben. Eine theologische Erklärung wie etwa das die Wundererzählungen des Neuen Testamentes nur dazu da wären uns die Einzigartigkeit und Größe und Messianität Jesu vor Augen zu stellen, ist für uns auch nicht gerade hilfreich obwohl ja einiges dafür spricht.

Tatsächlich ist es ja so, dass wenn man Menschen fragt warum sie glauben dass Jesus von Nazareth Gottes Sohn sei, viele antworten: „Weil er Wunder getan hat und Kranke Gesund machte.“ Viele Menschen können heute nicht mehr an Jesus Christus oder an Gott glauben weil sie so wenig oder gar nichts von seinen Wundern an sich oder ihrer Umgebung erfahren. Ja, es scheint so als wären wir arm an Wundern geworden. Das Wunderbare ist uns vielfach abhanden gekommen.

Ihr Lieben, die Liebe und Freundschaft Gottes zu jedem einzelnen von uns zeigt sich aber nicht an uns solcherart Wunder geschehen oder nicht, zeigt sich nicht in unserer Gesundheit oder wundervollen Gesundung. Wenn es so wäre müssten wir uns schon fragen ob Gott denn nur so wenige liebt da wir nur von sechs Blindenheilungen lesen. Was ist mit den vielen hunderten, ja tausenden, anderen? Sind diese und die vielen mit anderen Krankheiten behafteten Menschen von Gott ungeliebt oder sogar verworfen? So dachten die Menschen der damaligen Zeit über jene die mit einer schweren Erkrankung oder Behinderung ihr Leben fristen mussten. Doch gerade dieses Denken hat Jesus unterbrochen in dem er sich den Außenseitern der Gesellschaft zuwendet, denn die Liebe und Freundschaft Gottes zeigt sich in der unbedingten Annahme jedes einzelnen von uns, auch und gerade dann wenn wir mit einer Krankheit oder Behinderung leben müssen.

Der Evangelist Markus berichtet uns ja auch von den Worten Jesu: „ich bin gekommen um das Reich Gottes zu predigen!“ Jesus ging es also nicht um das Wunder an sich, sondern er hat die gute Nachricht vom Reich Gottes und dessen unbedingter Liebe in Wort und Tat verkündet.

Wenn die Geschichte über die Blindenheilung Jesu nicht in der Bibel stünde, wäre sie eine von vielen Wundergeschichten der damaligen Zeit. Wir wüssten nicht einmal dass es sich um Jesus handelt da sein Name gar nicht erwähnt wird. Es wird kein vollmächtiges Heilungswort gesprochen. Im Gegenteil die Art der Heilung (mit Geduld und Spucke) verwundert uns und unterscheidet sich nicht von den vielen Speichelheilern der damaligen Zeit. Nur deshalb weil diese Geschichte in der Bibel steht ist sie für uns Christen von Bedeutung. Genauer gesagt: Ihre tiefe Bedeutung bekommt sie dass sie gerade an dieser Stelle steht. Unmittelbar vorher beklagt Jesus die Blindheit seiner Jünger die immer noch nicht das Wesentliche des Lebens mit ihm sehen können. Und unmittelbar nachher bekennt Petrus: „Du bist der Christus!“ Es geht Jesus in diesem Zusammenhang um das Öffnen der Augen von Menschen für ihn und sein Reich. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Jesus möchte auch heute noch Menschen die Augen öffnen damit sie ihn und die Liebe Gottes die uns durch ihn geschenkt ist erkennen können.

Unbestreitbar ist es das wir das öffnen unserer Augen für das Reich Gottes nötiger haben denn je. Vielfach sind wir Menschen Blind geworden für das Wesentliche. Von klein auf wird uns gesagt wo wir denn nicht hinschauen dürften, weil das nichts für uns wäre. Von Anfang an wird uns in der Schule gelehrt den Erfolg im Auge zu behalten und uns ein Beispiel an den guten Schülern zu nehmen. Unser Augenmerk auf die guten zu richten. Es geht um den eigenen Erfolg, die eigene Karriere, das erstrebenswerte Vorbild. Wir beschäftigen uns mit den eigenen Interessen der eigenen Familie den eigenen Bedürfnissen und Wünschen. Immer undeutlicher sehen wir das andere, den anderen Mitmenschen. Das Elend von Krankheit und Siechtum legen wir hinter Mauern und Zäunen ab weil wir es „nicht sehen können“. Wir kennen alle das Beispiel des Kleinkindes das sich beim Versteckspiel an die Wand stellt und die Augen zuhält in der Meinung dass wenn es denjenigen der es sucht nicht sieht auch nicht gesehen wird. Wir tun uns bei dem Spiel- ich seh ich seh was du nicht siehst- immer schwerer weil wir zunehmend verlernen mit „den Augen des anderen“ zu sehen. Wir beginnen Menschen nicht mehr als Menschen an und für sich zu sehen sondern verdinglichen oder versachlichen sie, teilen sie ein in Konsumenten, Verbraucher, User, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Pfleglinge, Komatöse, Rehabilitierungswürdige u.s.w. u.s.f. Wie bitter nötig haben wir es doch das uns die Augen geöffnet werden.

Jesus hat uns nicht aus den Augen verloren. Er sieht uns nach wie vor als geliebte Kinder Gottes, seine Schwestern und Brüder. Er möchte uns, so wie den Mann damals wiederherstellen, re-integrieren. Er möchte uns beiseite nehmen und zeigt uns damit dass derjenige der sich an ihn wendet um Wiederherstellung seiner vollen Persönlichkeit und Heilung seiner geschundenen Seele das wichtigste für ihn ist. Er möchte uns anrühren, in dem er uns über die Augen streicht gibt er etwas von ihm in uns. Es ist so als würde er uns sagen: „Du darfst die Welt mit deinen Augen sehen denn sie sind auch meine. Du brauchst keine Angst zu haben vor dem was du siehst, denn alles was Gott für dich bereit hält und was er geschaffen hat ist gut. Nichts und Niemand, sei es auch Krankheit, Siechtum und Tod werden dich je von Gott und seiner Liebe trennen. Habe Mut zum Leben denn du bist mein.
Amen

Gebet:

Gott im Verborgenen —
Wir stehen oft ratlos da,
wissen- wenn man uns fragt-
keine Antwort.
Angewiesen sind wir auf deine Wahrheit,
die uns leben lässt
auf dem Weg Jesu.

Lass uns erleben,
wie einer den anderen braucht:
wenn eigene Armut
dem anderen zum Segen wird;
wenn eingestandene Angst
anderen die Angst nimmt;
wenn deren Freiheit weiter reicht
und unsere Freiheit daran wächst;
wenn wir aneinander
deine Spuren entdecken
und uns darüber freuen.

So beten wir für Menschen,
bei denen alles glatt geht;
für Menschen
die an Lasten tragen,
die ihnen zu schwer sind;
für Menschen
die Rollen spielen
oder spielen müssen.

So beten wir für uns selbst:
Lass uns einander beistehen
In dem Vertrauen,
dass du aus unseren Schwächen
tragende Kräfte gewinnen kannst.

Unser Vater …

Abkündigungen:
Segen:

Der Herr
voller Liebe wie eine Mutter
und gut wie ein gerechter Vater

Er segne dich
er lasse dein Leben gedeihen,
er lasse deine Hoffnung erblühen,
er lasse deine Früchte reifen.

Der Herr behüte dich
er umarme dich in deiner Angst
er stelle sich vor dich in deiner Not.

Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir
wie ein zärtlicher Blick erwärmt,
so überwinde er bei dir, was starr geworden ist.

Er sei dir gnädig
wenn Schuld dich drückt,
dann lasse er dich aufatmen
und mache dich frei.

Der Herr erhebe sein Angesicht über dich
er sehe dein Leid,
er tröste und mache dich heil.

Er gebe dir seinen Frieden-Amen

Postludium: Martin Seidl: Nikolaus Bruhns (1665 – 1697): Praeludium et Fuga in g