Foto: Ulrike Wittich

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 21. November 2021,
Ewigkeitssonntag (Gedenken an die Verstorbenen)
mit Pfr. Johannes Wittich

Klaviervorspiel: Juliane Schleehahn: Auszug Nr. 21 aus “Album für die Jugend” von Robert Schumann (1810 – 1856)
Lied: Evangelisches Gesangbuch 450, 1.2.5: Morgenglanz der Ewigkeit

1) Morgenglanz der Ewigkeit,
Licht vom unerschöpften Lichte,
schick uns diese Morgenzeit
deine Strahlen zu Gesichte
und vertreib durch deine Macht
unsre Nacht.

2) Deiner Güte Morgentau
fall auf unser matt Gewissen;
lass die dürre Lebens-Au
lauter süßen Trost genießen
und erquick uns, deine Schar,
immerdar.

5) Leucht uns selbst in jener Welt,
du verklärte Gnadensonne;
führ uns durch das Tränenfeld
in das Land der süßen Wonne,
da die Lust, die uns erhöht,
nie vergeht.

Spruch: Psalm 68,21:

Gott ist uns ein Gott der Rettung, Gott der Herr kann herausführen aus dem Tod.

Begrüßung:

Die Grenzen unseres Lebens sind uns heute ganz besonders bewusst, am Ewigkeitssonntag, bevor nächste Woche mit dem 1. Advent wieder eine neue Zeit des Hoffens und Erwartens beginnt. Die Grenze des Lebens ist uns bewusst, aber wir bleiben nicht in dieser Erkenntnis stecken. Wir vertrauen einem Gott, für den es diese Grenze nicht gibt. Er kann aus dem Tod ins Leben führen, wie er es mit den Menschen gemacht hat, um die wir heute trauern. Und er kann uns aus unserer Trauer wieder in die Lebendigkeit zurück führen.

Das wollen wir uns heute wieder bewusst machen, uns dessen vergewissern, wenn wir gemeinsam feiern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Gebet:

Guter Gott,
du bist der Gott der Lebenden und der Verstorbenen.
In Jesus Christus hast du dem Tod die Macht genommen.
Ewiges Leben willst du uns schenken, das versprichst du uns.
Doch wir sind immer wieder umgeben von der Macht des Todes.
Wir versinken in unserer Trauer.
Sehen nur uns selbst.
Und viel zu oft sehen wir weg,
wenn anderswo Leben sich nicht entfalten kann.
Zu dir kommen wir mit unserer Trauer über Menschen,
die von uns gegangen sind.
Zu dir kommen wir mit unserer Ohnmacht
angesichts von Tod Gewalt und Vergänglichkeit.
Gott, der du Zeit und Ewigkeit in Händen hast,
du hast einen neuen Himmel und eine neue Erde versprochen.
Öffne unsere Herzen und Sinne für dein Wort,
das uns Zuversicht und Hoffnung geben kann.
Gib unserem zerbrechlichen Leben Sinn und Ziel,
der du in Jesus Christus den Tod besiegt hast.
Amen.

Psalm 90, 1-12:

1Ein Gebet des Mose, des Gottesmanns.
Herr, ein Hort
warst du uns
von Generation zu Generation.
2Noch ehe Berge geboren wurden
und Erde und Erdkreis in Wehen lagen,
bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
3Du lässt den Menschen zum Staub zurückkehren
und sprichst: Kehrt zurück, ihr Menschen.
4Denn in deinen Augen sind tausend Jahre
wie der gestrige Tag, wenn er vorüber ist,
und wie eine Wache in der Nacht.
5Du raffst sie dahin,
ein Schlaf am Morgen sind sie
und wie das Gras, das vergeht.
6Am Morgen blüht es, doch es vergeht,
am Abend welkt es und verdorrt.
7Denn wir schwinden dahin durch deinen Zorn,
und durch deinen Grimm werden wir hinweggeschreckt.
8Du hast unsere Sünden vor dich gestellt,
unsere verborgene Schuld ins Licht deines Angesichts.
9All unsere Tage gehen dahin unter deinem Zorn,
unsere Jahre beenden wir wie einen Seufzer.
10Unser Leben währt siebzig Jahre,
und wenn es hoch kommt, achtzig Jahre.
Und was an ihnen war, ist Mühsal und Trug.
Denn schnell ist es vorüber, im Flug sind wir dahin.
11Wer erkennt die Gewalt deines Zorns
und deinen Grimm, wie es die Furcht vor dir verlangt?
12Unsere Tage zu zählen, lehre uns,
damit wir ein weises Herz gewinnen.

Gedenken an die Verstorbenen:

Heute wollen wir uns an alle erinnern, von denen wir in diesem Kirchenjahr in unserer Gemeinde, oder von denen Mitglieder unserer Gemeinde Abschied nehmen mussten. Für jede Verstorbene, für jeden Verstorbenen zünden wir eine Kerze zur Erinnerung an und denken in der Stille an ihn oder sie.

(Stille)

Im letzten Kirchenjahr sind auch Mitglieder unserer Gemeinde verstorben, die nicht kirchlich verabschiedet oder beigesetzt worden. Diesen Wunsch respektieren wir. Sie sind aber auch ein Teil unserer Gemeinschaft gewesen. Deshalb zünden wir jetzt für sie eine Kerze an.

(Stille)

Wir alle haben schon einmal einen uns nahestehenden Menschen verloren. Manchmal schon vor lange Zeit, manchmal erst vor kurzem. Vielleicht sind ihre Namen schon einmal in unserer Kirche genannt worden, vielleicht auch nicht. Heute soll es die Gelegenheit geben, auch an diese Menschen zu denken und in der Erinnerung an sie eine Kerze zu entzünden. Wer immer das jetzt tun möchte, ist herzlich dazu eingeladen, dies in Stille zu tun.

(Stille)

Zwischenspiel von Juliane Schleehahn
Spruch: 1. Kor. 13, 12:

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

Gebet:

Ewiger Gott,
du Trost der Traurigen und Stärke der Schwachen,
du kennst unsere Gedanken und Gefühle und auch unsere Trauer.
Hier, in diesem Gottesdienst,
denken wir zurück an geliebte und uns wichtige Menschen
und bringen vor dich, was uns bewegt.
Tröste uns durch dein Wort.
Mach uns deiner Liebe gewiss,
damit wir getrost die Wege weitergehen können, die du uns führen willst.
Bei dir, Gott, kommen unsere Wege ans Ziel,
du vollendest das Leben nach deiner Güte. Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 380, 1-4: Ja, ich will euch tragen

1) Ja, ich will euch tragen bis zum Alter hin.
Und ihr sollt einst sagen, dass ich gnädig bin.

2) Ihr sollt nicht grauen, ohne dass ich’s weiß,
müsst dem Vater trauen, Kinder sein als Greis.

3) Ist mein Wort gegeben, will ich es auch tun,
will euch milde heben: Ihr dürft stille ruhn.

4) Stets will ich euch tragen recht nach Retterart.
Wer sah mich versagen, wo gebetet ward?

Predigttext: 1. Korinther 15, 51-55

51Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Nicht alle werden wir entschlafen, alle aber werden wir verwandelt werden, 52im Nu, in einem Augenblick, beim Ton der letzten Posaune; denn die Posaune wird ertönen, und die Toten werden auferweckt werden, unverweslich, und wir werden verwandelt werden. 53Denn was jetzt vergänglich ist, muss mit Unvergänglichkeit bekleidet werden, und was jetzt sterblich ist, muss mit Unsterblichkeit bekleidet werden. 54Wenn aber mit Unvergänglichkeit bekleidet wird, was jetzt vergänglich ist, und mit Unsterblichkeit, was jetzt sterblich ist, dann wird geschehen, was geschrieben steht:

Verschlungen ist der Tod in den Sieg.
55Tod, wo ist dein Sieg?
Tod, wo ist dein Stachel?.

Liebe Gemeinde!

„Dem Herrn unserem Gott hat es gefallen, unseren lieben Bruder im Glauben aus diesem Leben abzuberufen.“ Mit diesem Satz hat über lange Zeit manch eine christliche Trauerrede begonnen. Ein Satz, Ausdruck tiefster Einsicht und Erkenntnis: über Leben und Tod entscheidet Gott ganz allein. In altertümlicher Sprache ausgedrückt, in der auch noch Wörter wie „Wohlgefallen“ oder „wohlgefällig“ vorkommen.

Aber heute, in unserem heutigen Sprachgebrauch, in unseren Versuchen, die richtigen Worte zu finden, wenn es um den Tod geht: kann man wirklich noch sagen, dass es Gott „gefallen“ hat, dass ein Mensch gestorben ist? Oder, umgekehrt gefragt: müssen wir uns das „gefallen“ lassen, dass Gott Menschen sterben lässt, uns Menschen durch den Tod wegnimmt?

Diese Frage hat sich der Schweizer reformierte Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti schon vor einem halben Jahrhundert gestellt, in der kritischen Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre. Und hat für sich eine Antwort gefunden. Unter Aufnahme dieser, für seine Ohren nur zu abgedroschen klingenden Phrase: „Dem Herrn unserem Gott hat es gefallen“, hat er einen Text verfasst, eine poetische (Kurz-)Trauerrede. Es ist ein Nachruf auf einen Verstorbenen namens Gustav E. Lips. Er beginnt mit dem Satz: „Dem Herrn, unserem Gott, hat es ganz und gar nicht gefallen, dass Gustav E. Lips bei einem Verkehrsunfall starb.“ Weiter beschreibt dann Kurt Marti, welche Lücke der Verstorbene hinterlassen hat. Um dann kritisch anzumerken, dass es Gott auch nicht gefällt, wenn manche glauben, es habe ihm gefallen. Das Gedicht endet mit: „Im Namen dessen, der Tote erweckte; im Namen des Toten, der auferstand: wir protestieren gegen den Tod von Gustav E. Lips!“

Eine starke Ansage: nicht nur Kritik an Pfarrern, die die Formel „Dem Herrn, unserem Gott, hat es gefallen …“ in falsch verstandenen Gottergebenheit verwenden. Sondern auch Kritik an denjenigen, die diese Phrase aus dem Mund des Pfarrers einfach so akzeptieren und ihr zustimmen.

Wir alle sind an bestimmten Punkten unseres Lebens schon Trauernde gewesen und werden es wohl auch immer wieder sein. In solchen Momenten sind wir besonders sensibel, wenn versucht wird, uns zu trösten. Manch eine Formulierung, so gut sie auch gemeint sein mag, passt da ganz einfach nicht. Mehr noch: der Verlust eines lieben Menschen macht manche auch einfach wütend. Ich denke, dass Kurt Marti gut erkannt hat, dass sich Wut und Schmerz nicht einfach durch fromme Phrasen aus der Welt schaffen lassen. Vielmehr gehört angesprochen, was die Wut und den Schmerz auslöst. Im Fall von Gustav E. Lips ein tödlicher Autounfall, ein Mensch, der mitten aus dem Leben herausgerissen wurde, eine riesige Lücke hinterlässt. Das soll Gott gefallen haben?.

Kurt Marti weiß wohl auch, dass sich auf die Frage: „Warum?“ keine Antwort geben lässt. Schon gar nicht auf die Frage, warum Gott das, was passiert ist, zugelassen hat. Aber er erinnert uns daran, wie in der Bibel mit dem Entsetzen über den Tod umgegangen wird, was und wie aus dem Glauben an Jesus Christus geschöpft werden kann. Und kommt zu dem Schluss: der Glaube an die Auferstehung, ist eine Protestbewegung gegen den Tod. „Wir protestieren gegen den Tod von Gustav E. Lips.“

Das klingt zunächst einmal tatsächlich sehr nach 60er Jahre, nach Studentenprotesten, mit den Forderungen nach dem Aufbrechen von überholten und verkrusteten Strukturen in Gesellschaft und auch Kirche. Allerdings: der Idee des „Protests gegen den Tod“ ist noch einmal gute 80 Jahre älter. Sie stammt von dem deutschen Theologen Christoph Blumhardt. Kurt Marti zitiert ihn auch als Inspiration für sein Gedicht: „Wir Christen sind Protestleute gegen den Tod.“ – so heißt es im Original bei Christoph Blumhardt – und das schon Ende des 19. Jahrhundert.

Obwohl: eigentlich ist dieser Gedanke schon bald 2000 Jahre alt. Denn wie hat es gerade im 1. Korintherbrief des Apostel Paulus geheißen: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ Anders gesagt: Tod, du kannst uns nichts anhaben. Du hast letztlich keine Macht über uns. Glaube und Hoffnung sind stärker.

Und selbst dieser Gedanke des Apostel Paulus ist „geklaut“. Er stammt nämlich vom Propheten Hosea, und der hat wieder über 700 Jahre früher gelebt.

Womit sich für mich ganz klar zeigt: schon immer haben Menschen dem Tod nicht die Freude machen wollen, das letzte Wort zu haben. Haben geglaubt, gehofft, Zeichen des Lebens gesucht und entdeckt, gerade dann, wenn es besonders hoffnungslos ausgesehen hat. Haben Zeichen des Lebens entdeckt in ihrem Vertrauen auf Gott, und in der Gemeinschaft von Menschen, die dieses Vertrauen auf Gott mit ihnen geteilt haben. Ja, als diese Protestbewegung gegen den Tod, die wir Christinnen und Christen nun einmal sind, können wir einander helfen, stärken uns trösten. Können einander aufrichten und beim Weitergehen gute Begleiterinnen und Begleiter sein.

In den ersten Monaten meiner Tätigkeit hier in dieser Gemeinde gab es in Favoriten einen Mord an einem Mädchen. Die Familie war zum Teil Mitglied unserer Gemeinde, zum Teil, auch das ermordete Mädchen selbst, gehörte sie zu einer lutherischen Nachbargemeinde. Der Pfarrer dort, genauso so wie ich noch ganz am Anfang seiner Tätigkeit, Jahrgangskollege sogar, hat versucht, dieses völlige Entsetzen über diese schreckliche Tat, den Schock über das brutale Ende eines jungen Lebens in seiner Trauerpredigt aufzunehmen. Und hat dazu genau diesen Text von Kurt Marti verwendet: „Gott dem Herrn hat es ganz und gar nicht gefallen … Wir protestieren gegen den Tod von …“

Nach der Trauerfeier ist er von einem Reporter einer Boulevardzeitung angesprochen worden. Der wollte wissen, gegen wen er protestiert hat. Der Pfarrerkollege hat versucht, ihm zu erklären, dass es um eine grundsätzliche Haltung geht, die nichts, selbst den Tod nicht, als endgültig akzeptiert. Das hat der Journalist nicht und nicht verstanden. Wenn man protestiert, dann protestiert man immer gegen jemand Konkreten, gegen Politiker z.B.. Eine Zeitlang haben Pfarrer und Reporter so aneinander vorbei geredet, bis dem letzteren plötzlich eine Erkenntnis kam: „War es vielleicht Gott, gegen den sie protestiert haben?“ Der Kollege darauf, sichtlich schon der Debatte überdrüssig, meinte darauf: „Ja, kann man auch so sehen.“ Worauf die Antwort kam: „Respekt, Herr Pfarrer! Das ist mutig!“

Ja, so mutig sind wir Christinnen und Christen. Tod, wo ist dein Stachel? Tod, wo ist dein Sieg? Wir lassen uns das Leben nicht nehmen. Schon gar nicht das ewige Leben.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 380, 5-7: Ja, ich will euch tragen

5) Denkt der vor’gen Zeiten, wie, der Väter Schar
voller Huld zu leiten, ich am Werke war.

6) Denkt der frühern Jahre, wie auf eurem Pfad
euch das Wunderbare immer noch genaht.

7) Lasst nun euer Fragen, Hilfe ist genug.
Ja, ich will euch tragen, wie ich immer trug.

Gebet: 

So viele Gedanken und Gefühle, Gott,
so viele Erinnerungen bewegen uns.
Was wir auf dem Herzen haben, bringen wir zu dir.
Wir bitten dich für alle, die um einen Menschen trauern,
hier und andernorts.
Sei du nahe in Trauer und Einsamkeit.
Wir bitten dich für die,
deren Herzen beladen sind angesichts eines Sterbens,
beladen vielleicht sogar mit Selbstanklage und Schuldgefühl,
beladen mit Hader und Zorn.
Befreie sie von ihrer Last.
Wir bitten dich für die, die umgetrieben werden
von Fragen des Lebens und des Sterbens.
Zeige du ihnen Wege, die sie gehen können.
Für Kranke und Sterbende bitten wir dich, für die, die Schmerzen leiden.
Heile die Schmerzen, wehre der Angst.
So viele Gedanken und Gefühle, Gott,
so viele Erinnerungen bewegen uns.
Hilf uns festhalten an dir,
an deiner Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde,
alle Tage unseres Lebens. Amen.

Unser Vater im Himmel  …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 171, 1.4: Bewahre uns, Gott

Klaviernachspiel: Juliane Schleehahn: Smile Charlie Chaplin (1889 – 1977)