Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 20. Dezember 2020,
4. Advent mit Pfr. Johannes Wittich


Orgelvorspiel: Juliane Schleehahn
Spruch: Jesaja 60, 1:

Mach dich auf, werde licht! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn
ist aufgestrahlt über dir.

Begrüßung:

Nur noch wenige Tage sind es bis zum Heiligen Abend. Der ganz anders sein wird als die Jahre zuvor. Und doch vertraut, denn die Botschaft bleibt die Selbe. Auch heuer warten wir auf das Licht, das Gott schenkt, hoffen, dass es kommt, ja rechnen fest mit ihm – vielleicht sogar ein bisschen mehr als sonst.

Wir wissen, dass die Dunkelheiten unserer Zeit auch zu Weihnachten nicht einfach draußen bleiben. Sie sind da, wir wissen es, wir stellen uns ihnen. Wir wissen aber auch, dass Gott da ist, auch und besonders wenn wir gemeinsam feiern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 46, 2-3.7-12:

Ein altes Gebet zum Thema: „Wann, Gott, wird es endlich wieder so wie früher?“:

2 Gott ist uns Zuflucht und Schutz,
eine Hilfe in Nöten, wohl bewährt.
3 Darum fürchten wir uns nicht, wenn die Erde schwankt
und die Berge wanken in der Tiefe des Meeres.

7 Nationen toben, Königreiche wanken,
er lässt seine Stimme erschallen, und die Erde erbebt.
8 Der Herr der Heerscharen ist mit uns,
eine Burg ist uns der Gott Jakobs.
9 Kommt und schaut die Taten des Herrn,
der Entsetzen verbreitet auf Erden.
10 Der den Kriegen Einhalt gebietet
bis ans Ende der Erde,
der Bogen zerbricht, Speere zerschlägt
und Wagen im Feuer verbrennt.
11 Lasst ab und erkennt, dass ich Gott bin,
erhaben unter den Nationen, erhaben auf Erden.
12 Der Herr der Heerscharen ist mit uns,
eine Burg ist uns der Gott Jakobs.

Gebet:

Herr unser Gott, wir müssen zugeben:
Wir waren ungeduldig,
wo wir geduldig hätten sein sollen.
Manchmal waren wir vorschnell,
wo Abwarten angebracht gewesen wäre.
Und manchmal haben wir zu lange gewartet,
wo wir längst handeln hätten sollen.
Was immer wir auch tun,
Erlösung bringen nicht wir,
sondern du, ewiger Gott.
Wir kommen zu dir
und rechnen mit dir.
Guter Gott, wir warten auf Weihnachten.
Das Kind in der Krippe ist Jahr für Jahr etwas ganz Besonderes.
Die Welt sucht Befreiung; das Kind bringt Erlösung.
Nicht nur ein paar Tage lang, sondern für immer und ewig.
Und du Gott?
Wie begegnest du uns heute, an diesem vierten Advent?
Wir lassen uns überraschen und beschenken.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 17, 1 und 4: Wir sagen euch an den lieben Advent

1) Wir sagen euch an den lieben Advent
Sehet, die erste Kerze brennt!
Wir sagen euch an eine heilige Zeit
Machet dem Herrn den Weg bereit!
Freut euch, ihr Christen! Freuet euch sehr
Schon ist nahe der Herr.

4) Wir sagen euch an den lieben Advent
Sehet, die vierte Kerze brennt
Gott selber wird kommen, er zögert nicht
Auf, auf, ihr Herzen, werdet licht
Freut euch, ihr Christen! Freuet euch sehr
Schon ist nahe der Herr.

Predigt: Mt. 2, 13-15

13 Als die Sterndeuter aber fortgezogen waren, da erscheint dem Josef ein Engel des Herrn im Traum und spricht: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir Bescheid sage! Denn Herodes wird das Kind suchen, um es umzubringen.
14 Da stand er auf in der Nacht, nahm das Kind und seine Mutter und zog fort nach Ägypten.
15 Dort blieb er bis zum Tod des Herodes; so sollte in Erfüllung gehen, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.

Liebe Gemeinde!

Moment einmal – ist das die richtige Geschichte für den vierten Advent? Das, was nach der Rückkehr der Weisen aus dem Orient, nach dem Besuch in Betlehem beim Jesuskind passiert ist? Das kommt doch erst noch, nach dem Heiligen Abend, sogar erst nach dem 6. Jänner, dem so genannten Dreikönigsfest.

Meine Schülerinnen und Schüler würden in so einem Augenblick „Spoileralarm!“ rufen. Nämlich dann, wenn jemand vorschnell verrät, wie der Film, den man gerade schaut oder das Buch, das man gerade liest, weiter- oder gar ausgeht.

So schlimm ist das, was ich gerade gemacht habe, nun auch wieder nicht. Denn schließlich kennen wir ja alle die Weihnachtserzählungen. Eine echte Überraschung sind sie nicht mehr. Nur: das Berichtete ist nun einmal nach der Geburt Jesu passiert. Sollte es daher auch nicht erst nach Weihnachten im Gottesdienst vorkommen?

Das ist grundsätzlich richtig. Dass der kleine Jesus unmittelbar nach seiner Geburt an Leib und Leben bedroht ist, der König Herodes ihm nach dem Leben trachtet, Josef und Maria und das Kind fliehen müssen, nach Ägypten, darüber können wir ja auch noch nach Weihnachten nachdenken. Weil jetzt geht es erst einmal geht es um die Geburt des Erlösers und die Freude darüber und, am heutigen 4. Advent, die Vorfreude darauf. Man könnte sagen: jetzt schon die Geschichte von der Flucht nach Ägypten zu erzählen, verdirbt die Weihnachtsfreude.

So wie auch vieles Anderes die Weihnachtsfreude verderben kann. „Wir wollen Weihnachten retten“ hat es in den letzten Wochen aus dem Munde vieler Politiker geheißen. Es ging darum sicherzustellen, dass zu Weihnachten Familien zusammenkommen und feiern können. Es ging auch darum, das Weihnachtsgeschäft möglich zu machen. Das grundsätzliche Ziel: Corona soll uns zu Weihnachten doch nicht auch noch die letzte Freude nehmen.

Und dann haben uns in den letzten Tagen Bilder aus Griechenland erreicht, die man zu Weihnachten auch nicht sehen möchte: die Zustände im Flüchtlingslager Kara Tepé auf der griechischen Insel Lesbos. Unhaltbare, unerträgliche, skandalöse Zustände, besonders für Kinder. Diese Bilder lassen sich nicht auf die Seite schieben oder verdrängen. Was da passiert, ist eine Schande für unser zivilisiertes Europa: Chaos, Gewalt, menschenunwürdige Lebensbedingungen, Kälte, Regen, Schlamm, vom Wind weggerissene Zelte, die Berichte übertreffen sich in Grauslichkeiten.

„Nur wer für die Juden schreit, darf (auch) gregorianisch singen“, hat der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer seinen Mitchristen in der Zeit des Nationalsozialismus ins Stammbuch geschrieben. Feierliche Gottesdienste sind nichts wert, wenn gleichzeitig Leiden ignoriert wird – ein Motiv, das es auch schon bei den Propheten des Alten Testaments gibt, besonders bei Amos. Bonhoeffer hat damit Standards für eine Kultur des Hinschauens definiert, indem er an diese biblischen Standards erinnert hat und dass sie bis heute gelten. Das fordert uns heraus. Denn was heißt das konkret heute, angesichts der Zustände auf Lesbos, angesichts der Tatsache, dass nach wie vor Menschen im Meer an den Außengrenzen Europas ertrinken?

In der evangelischen Kirche Deutschlands ist eine interessante Idee aufgetaucht, die die Ideen des Propheten Amos und Dietrich Bonhoeffers konsequent weiterdenkt: wie wäre es, wenn wir als Protest gegen die Zustände in den griechischen Lagern die Gottesdienste am Heilig Abend absagen. Klar und deutlich demonstrieren: unter diesen Umständen lässt sich Weihnachten nicht feiern. Unter diesen Umständen ist Weihnachten nicht zu retten.

Ein interessantes Experiment. Ich persönlich würde lieber trotzdem am Heilig Abend an den Gottesdiensten festhalten. Oder besser gesagt: erst recht! Um in diesen Gottesdiensten noch einmal klar und deutlich und öffentlich zu sagen, was wir als Kirchen, als Christinnen und Christen von dieser abgrundtiefen Verantwortungslosigkeit halten.

Denn eines darf man nicht vergessen: seit Monaten gibt es Appelle an die Regierung, zumindest ein paar Kinder, oder ein paar Familien, aus den Lagern, erst noch aus Moria, jetzt aus Kara Tepé nach Österreich zu holen. Viele Kirchen und politische Gemeinden sind bereit, für diese Menschen zu sorgen, auch die Stadt Wien hat Platz für 100 Personen angeboten. Klingt vernünftig, klingt machbar, klingt menschlich, klingt nach dem Selbstverständlichsten auf der Welt. Allein: die Bundesregierung weigert sich seit Monaten stur, auch nur einen einzigen Menschen nach Österreich hineinzulassen. Man sei auch zutiefst erschüttert, heißt es. Man möchte aber lieber „Hilfe vor Ort“ leisten. Wie „erfolgreich“ das war, demonstrieren die Bilder in den Nachrichten nachdrücklich. Die Diakonie berichtet von Heizgeräten in den Lagern, die die österreichische Regierung geliefert hat. 3000 Watt starke Dinger. Klingt gut. Allein: es gibt in Kara Tepé keine einzige Stromleitung. Nicht einmal für eine läppische Glühbirne.

Da möchte man helfen, schaut auf die Homepage der Diakonie und stellt fest: man findet zunächst einmal keinen Spendenaufruf. Sondern nur und ausschließlich eine Forderung: die griechischen Lager gehören evakuiert. Punkt. (Trotzdem ist es möglich zu spenden, denn schließlich will die Diakonie auch erst einmal das allergrößte Leid lindern.)

Und das alles zu Weihnachten. Nein, die verantwortlichen Politiker retten Weihnachten nicht. Die Lager in Griechenland, die Situation der Flüchtlinge dort, machen uns Weihnachten kaputt.

Wir werden es trotzdem feiern. Als Protest. Denn das ist es ja, was zu Weihnachten Thema ist: die feste Überzeugung, der feste Glaube: der Erlöser kommt zu allen Menschen. Zu denen, denen es sprichwörtlich dreckig geht. Und zu denen, die es eigentlich ganz gut haben. Damit die ihre Verantwortung nicht vergessen.

„Mach dich auf, werde licht! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn ist aufgestrahlt über dir.“ Mit dieser schönen Verheißung des Propheten Jesaja haben wir unseren Gottesdienst begonnen. Aber auch Jesaja hat schon gewusst, dass Licht und Dunkel nahe beieinander liegen. Denn weiter heißt es: „Denn sieh, Finsternis bedeckt die Erde und Wolkendunkel die Völker. Trotzdem: Jesaja ist sich ganz sicher: „über dir aber wird der Herr aufstrahlen, und seine Herrlichkeit wird erscheinen über dir. Und Nationen werden zu deinem Licht gehen und Könige zu deinem strahlenden Lichtglanz.“

Das glauben auch wir. Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 19, 1-2: O komm, o komm, du Morgenstern

1) O komm, o komm, du Morgenstern,
lass uns dich schauen, unsern Herrn.
Vertreib das Dunkel unsrer Nacht
durch deines klaren Lichtes Pracht.
Freut euch, freut euch, der Herr ist nah.
Freut euch und singt Halleluja.

2) O komm, du Sohn aus Davids Stamm,
du Friedensbringer, Osterlamm.
Von Schuld und Knechtschaft mach uns frei
und von des Bösen Tyrannei.
Freut euch, freut euch, der Herr ist nah.
Freut euch und singt Halleluja.

Gebet: 

Guter Gott, Weihnachten ist Befreiung,
und doch fehlt da immer noch etwas.
Trotz Advent und Weihnachten bleiben wir Welt.
Erlösung bleibt Zukunft;
darum bitten wir dich für diese von dir geliebte,
aber unerlöste Welt.

Wir bitten dich für die, die warten auf Heilung.
Für die, denen man versprochen hat, dass es besser wird.
Warten kann zermürben, wenn die Hoffnung schwindet,
aber wir erwarten dich und deine Hilfe
.

Wir bitten dich für die, die warten auf Frieden.
Weihnachten ist „Frieden auf Erden“, aber der ist nicht überall.
Nicht jeder scheint es gehört zu haben oder sich daran zu halten.
Lass Friede werden, wo Krieg der Alltag ist.

Wir bitten dich für die, die warten, dass die Furcht verschwindet.
Die Furcht vor der Zukunft, die Furcht vor dem nächsten Schritt,
die Furcht vor dem nächsten Tag.
Weihnachten ist „Fürchtet euch nicht“.
Lass deine Weihnachtsbotschaft dort erschallen,
wo sich die Furcht einfach nicht vertreiben lassen will.

Wir bitten dich für die, die das Warten verlernt oder aufgegeben haben.
Die voller Ungeduld durch ihr Leben hetzen
und auch in diesen Tagen keinen Raum für Besinnung finden.
Für sie bitten wir um Zeit und Ruhe.
Amen.

(nach Sebastian Renz)

Unser Vater im Himmel …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Orgelnachspiel: Juliane Schleehahn: Präludium in a-Moll, Johann Sebastian Bach (1685-1750)