Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 11. Oktober 2020
mit Pfr. i. R. Karl Weinberger


Präludium: Markus Rohrmoser
Spruch: 1. Joh. 4, 19-20:

Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder oder seine Schwester, der ist ein Lügner. Denn wer seine Schwester oder seinen Bruder nicht liebt den er sieht, der kann nicht Gott lieben den er nicht sieht.

Begrüßung:

So kommen wir zusammen um die Gegenwart Gottes und seine Liebe untereinander zu feiern und zu teilen.
Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes-Amen

Lasst uns beten:

Gott, größer als unser Herz,
wir sind so festgelegt auf das,
was wir erfahren haben und vertreten.
Locke uns hinaus
an unsere Hecken und Zäune.
Lass uns den Mitmenschen entdecken
mit seinen Einfällen und Zielen –
den oft so fremden Jesus,
der verstehend hereinkommt
zu uns.
Nahe wie ein guter Freund
bist du uns Gott,
teilst unser Leben,
Bleibst dabei.
Wenn du zurückhaltend bist
gegenüber unseren Klagen,
dann lass uns spüren,
dass du es gut mit uns meinst.
Und wir trauen uns,
nach Leben zu suchen
und dich
neu zu entdecken
guter Freund. – Amen

Lied: Evangelisches Gesangbuch 295, 1-3: Wohl denen, die da wandeln

1) Wohl denen, die da wandeln
vor Gott in Heiligkeit,
nach seinem Worte handeln
und leben allezeit;
die recht von Herzen suchen Gott
und seine Zeugniss’ halten,
sind stets bei ihm in Gnad.

2) Von Herzensgrund ich spreche:
dir sei Dank allezeit,
weil du mich lehrst die Rechte
deiner Gerechtigkeit.
Die Gnad auch ferner mir gewähr;
ich will dein Rechte halten,
verlaß mich nimmermehr.

3) Mein Herz hängt treu und feste
an dem, was dein Wort lehrt.
Herr, tu bei mir das Beste,
sonst ich zuschanden werd.
Wenn du mich leitest, treuer Gott,
so kann ich richtig laufen
den Weg deiner Gebot.

Predigttex: 1. Markus 12, 28-34

Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen?
Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein,
und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften.
Das andere ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Es ist kein anderes Gebot größer als diese.
Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Meister, du hast wahrhaftig recht geredet! Er ist nur einer, und ist kein anderer außer ihm;
und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.
Als Jesus aber sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.
Gnade sei mit euch und Frieden von Gott…….. .

Liebe Gemeinde!

Viele Christen sind der Meinung, das Neue in der Verkündigung Jesu gegenüber dem, sogenannten, Alten Testament sei das Gebot der Liebe.
Doch das stimmt so eigentlich nicht. Wenn Jesus hier nach dem wichtigsten Gebot gefragt wird, so erfindet er kein neues, sondern er zitiert, genau wie es die Schriftgelehrten von ihm fordern, jene alttestamentlichen Stellen, die er für die wichtigsten hält (5. Mose 6,4-5 u. 3. Mose 19,18)
Es sind zwei Stellen, zwei Gebote, die Jesus aus der Fülle von Geboten herausgreift und sie als Doppelgebot mit der Endgültigkeit göttlicher Vollmacht vor uns hinstellt.
Denken wir zuerst über den ersten Teil dieses Doppelgebot´s nach.

Was ist das für ein Gott, den wir lieben sollen?

Er ist, wie schon Pascal sagte: „nicht der Gott der Philosophen, sondern der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“. Das heißt, Gott ist etwas anderes als ein menschlicher Gottesbegriff oder eine Idee. Einen mag man denken können, aber niemals lieben! Gott ist auch etwas anderes als das Schicksal. „Schicksal“ ist eine heidnische Gottheit und hat mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs nichts zu tun. Gott ist auch etwas anderes und mehr als die „erste Ursache“ oder der „erste Beweger“, der alles bewegt. Wie sollte man diese begrifflichen Abstraktionen lieben können. Und wenn moderne Denker und Theologen Gott definieren als „das Umgreifende“ oder „die Tiefe des Seins“, so ist das ganz schön und interessant, doch helfen uns solche Definitionen nicht weiter, denn kann man eine Definition lieben?

Im ersten Testament gibt es keine derartigen Gotteserklärungen, denn Gott in solche Allgemeinbegriffe fassen kann nur, wer distanziert und unbeteiligt von ihm redet. Gerade das konnte, und kann, Israel nicht. Gott begegnete Israel in oft gänzlich unerwarteten Ereignissen und in diesen Ereignissen mit der Personhaftigkeit eines leidenschaftlichen Willens. Immer wieder griff Gott in die sehr irdische Geschichte diese Volkes ein , oft ganz anders, als sie es sich gedacht oder gewünscht hatten. Ja, oft merkten sie erst hinterher, dass Gott in diesem oder jenen Ereignissen am Werk gewesen war.
Diese unverfügbare Lebendigkeit Gottes die Israel immer wieder erlebte zerbricht alle Vorstellungen und Bilder die wir uns von ihm machen. Und schließlich ist es ein schändlich Gekreuzigter, der proklamiert wird als Gottes geliebter Sohn. An diesem Gott, der uns in einem verworfenen Menschen begegnet und eins ist mit ihm, scheitern unsere klügsten Gottesgedanken.

Und nun sagt Jesus mit der jüdischen Überlieferung: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben“! Und das nicht nur ein bisschen, sondern ganz: mit allen Fasern des Herzens und der Seele, mit jeder Tat unserer Hände, mit jedem Atemzug.

Da könnte man sagen: „befohlene Liebe ist keine Liebe“. Doch hier ist das nicht so. Denn ohne Liebesgebot können wir nur Angst haben vor diesem, für uns nicht berechenbaren, Gott. Erst das ausdrückliche Gebot, Gott zu lieben, offenbart uns, dass Gott von uns geliebt sein will und dass wir deshalb vor ihm keine Angst zu haben brauchen. Er ist Leidenschaft, ist Liebe. Er ist -zuhöchst und zuletzt- der Vater des Gekreuzigten, in dem er seine Liebe und Leidenschaft, ungeschützt und wehrlos in unsere Welt hineingestellt hat. Dadurch hat er sein bedingungsloses Ja zu uns Menschen manifestiert. Gott mit Leidenschaft lieben heißt: Ihn als den Lebendigen zu lieben. Und es Heißt ihn im lebendigen, weil auferstandenen, Christus zu lieben. Und daraus folgt, ihn im Mitmenschen zu lieben. Damit sind wir beim zweiten Teil: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.

Lieben wir uns überhaupt selbst? So selbstverständlich ist das gar nicht. Es gibt Menschen, die sich Hassen. Psychologen behaupten sogar, dass das bei der Mehrzahl der Menschen der Fall ist. Diese Liebesunfähigkeit hat ihre Ursache zumeist in der Unfähigkeit sich selbst bejahen zu können. Doch wer von uns kann von sich behaupten das er sich selbst so akzeptiert und bejaht wie er ist? Doch wir sollen und dürfen uns selbst so akzeptieren und lieben wie wir sind weil uns auch Gott so liebt wie wir sind. Unser Leben ist uns als lebenswertes uns bejahungswürdiges Leben geschenkt worden. Jeder von uns ist als Geschöpf Gottes wunderbar gemacht heißt es im 139. Psalm. Wir sind gewollte Kinder eines leidenschaftlichen Vaters.
Wer sich selbst als geliebtes Geschöpf Gottes bejahen kann, der bejaht auch seinen Nächsten. Denn auch er ist, genau so wie er ist, „wunderbar“ gemacht.
Doch summa summarum ist der Nächste immer ein Störenfried. Er stört uns in dem Wahn, alle anderen müssten so sein wie wir ( gerne wären). Er stört uns mit seinen Anliegen und Bitten. Er stört uns mit seinen Fehlern und Schwächen. Er stört uns mit seiner Krankheit und Armut. Er stört uns in unserer Selbstzufriedenheit. Es stört uns die unsichtbare, unhörbare, ja unheimliche Gegenwart von Millionen hungernder und unterdrückter Mitmenschen, während wir in Freiheit an gedeckten Tischen sitzen. Immer wieder werden wir gestört. Und immer wieder ist es gerade der, der stört, der Nächste, den Jesus meint. Und immer wieder will gerade dieser Störenfried als Geschöpf Gottes so bejaht, so geliebt sein, wie wir uns selbst bejahen und lieben dürfen.
Weil das für uns nicht leicht und keine Selbstverständlichkeit ist, darum muss es uns als Gebot gesagt werden. “Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“
Amen.

Gebet:

Gott, lass uns einen Anfang machen.
Du redest zu uns ,
zeigst uns den anderen Weg,
öffnest uns die Augen
für deine neue Welt.
Lass uns damit einen Anfang machen,
den erste Schritt gehen.
Lass uns Vertrauen haben zu dir.

Du nimmst uns in Schutz.
Lass uns die in Schutz nehmen,
über die schlecht geredet wird,
die man nicht mag.
Für uns ist gesorgt.
Lenke unsere Sorgen auf die,
die nicht zurechtkommen –
die einen brauchen,
der ihnen zuhört und beisteht.
Du befreist uns von Angst und Schuld.
Lass auch uns befreiend sein,
wohltuend und erlösend für andere. – Amen

Unser Vater  …

Abkündigungen:
Segen:

Gott sei vor dir, um dir zu zeigen, wie du in die unbekannte Zukunft gehen kannst.

Gott sei neben dir, um dich in die Arme zu schließen, wenn du nicht weiter kannst.

Gott sei hinter dir, um dich zu bewahren und dir den Rücken zu stärken.

Gott sei unter dir, um dich aufzufangen, wenn du den Boden unter den Füßen verloren hast.

Gott sei in dir, um dich zu trösten, wenn du traurig bist.

Gott sei um dich herum, um dich zu verteidigen, wenn das Böse dich bedrängt.

Gott sei über dir, um dich liebevoll zu segnen.

So segne dich der gütige und barmherzige Gott, + der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen

Postludium: Markus Rohrmoser