Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der ref. Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 9. Mai 2021
mit Pfr. Johannes Wittich


Präludium : Juliane Schleehahn:
Spruch: Ps. 66,20:

Gepriesen sei Gott, der mein Gebet nicht abgewiesen und seine Gnade mir nicht entzogen hat.

Begrüßung:

Hört uns Gott tatsächlich, wenn wir zu ihm beten? Kommt das an, was wir auf dem Herzen haben? Wir glauben es – und eigentlich wissen wir es auch. Wir haben unserer Erfahrungen mit dem Beten. Und ja, wir kennen die Momente, in denen wir das Gefühl haben, ins Leere zu sprechen. Wir kennen aber auch die Momente, in denen wir unzweifelhaft spüren: Beten hilft, beten wirkt.

So dürfen wir vertrauen, dass Gott uns in jedem Fall hört, wenn wir beten. Selbst dann, wenn wir das Gefühl haben, er sei weit weg oder in seinen Handlungen und Entscheidungen undurchschaubar.

Wir werden gehört, auch und besonders wenn wir gemeinsam feiern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 68, 2-9:

2 Gott steht auf, und seine Feinde zerstieben,
und die ihn hassen, fliehen sein Angesicht.
3 Du verwehst sie wie Rauch;
wie Wachs vor dem Feuer schmilzt,
so vergehen die Frevler vor Gottes Angesicht.
4 Die Gerechten aber freuen sich, frohlocken vor Gott
und jauchzen voll Freude.
5 Singt Gott, spielt seinem Namen,
baut eine Strasse dem, der auf den Wolken dahinfährt,
Jah ist sein Name, frohlockt vor ihm.
6 Ein Vater der Waisen und ein Anwalt der Witwen
ist Gott in seiner heiligen Wohnung.
7 Den Einsamen gibt Gott ein Zuhause,
die Gefangenen führt er heraus ins Glück,
die Empörer aber bleiben in der Öde.
8 Gott, als du auszogst vor deinem Volk,
als du einherschrittest durch die Wüste,
9 da bebte die Erde,
die Himmel troffen
vor Gott, dem vom Sinai,
vor Gott, dem Gott Israels.

Gebet:

Barmherziger Gott,
wir spüren oft, dass wir nicht das tun,
was wir tun sollten.
Wir erleben und erleiden,
dass unser Handeln nicht gut ist oder nicht ausreicht.
Das belastet uns und macht uns traurig.
Wir ahnen,
dass wir anderes reden und anderes tun sollten.
Die letzten Tage waren sehr angefüllt.
Wir kommen zu dir mit allem, was uns bewegt.
Wir bitten dich:
Nimm uns an, so wie wir sind und zu dir kommen.
Lass uns in diesem Gottesdienst spüren,
dass wir deine geliebten Kinder sind.
Guter Gott,
wir spüren deine Nähe
und freuen uns an deiner Gegenwart.
Das macht uns froh an diesem Tag.
Mit allen Geschöpfen loben wir dich dafür,
dass du uns annimmst.
Wir erleben:
Wir sind wert – geschätzt bei dir.
Erfülle uns mit deiner Liebe.
Mach uns barmherzig mit uns selber.
Komm zu uns und erfülle uns mit deinem guten Geist.
Amen
.

(nach Detlev Albrecht)

Lied: Juliane Schleehahn: Evangelisches Gesangbuch 372, 1,3: Was Gott tut, das ist wohlgetan

1) Was Gott tut, das ist wohlgetan,
es bleibt gerecht sein Wille;
wie er fängt seine Sachen an,
will ich ihm halten stille.
Er ist mein Gott, der in der Not
mich wohl weiß zu erhalten;
drum lass ich ihn nur walten
.

3) Was Gott tut, das ist wohlgetan,
er wird mich wohl bedenken;
er als mein Arzt und Wundermann
wird mir nicht Gift einschenken
für Arzenei;
Gott ist getreu,
drum will ich auf ihn bauen
und seiner Güte trauen
.

Predigttext: Ex. 12, 29-36:

29 Um Mitternacht aber schlug der Herr alle Erstgeburt im Land Ägypten, vom Erstgeborenen des Pharao, der auf seinem Thron sass, bis zum Erstgeborenen des Gefangenen, der im Kerker lag, und alle Erstgeburt des Viehs. 30 Da stand der Pharao auf in der Nacht, er mit allen seinen Dienern und ganz Ägypten. Und es erhob sich ein grosses Geschrei in Ägypten, denn es gab kein Haus, in dem nicht ein Toter war. 31 Und in der Nacht rief er Mose und Aaron und sprach: Macht euch auf, zieht weg aus meinem Volk, ihr und die Israeliten, und geht, dient dem Herrn, wie ihr gesagt habt. 32 Nehmt auch eure Schafe und Rinder, wie ihr gesagt habt, und geht! Und bittet auch für mich um Segen.

Liebe Gemeinde!

Einige von euch wissen es: unter der Woche ist unsere Kirche seit einigen Monaten auch ein Klassenzimmer. Als Religionslehrer habe, wie alle anderen Lehrerinnen und Lehrer auch, immer wieder Schulstunden über Videokonferenz zu halten. Es hat sich gezeigt, dass unsere Erlöserkirche ein idealer Ort dafür ist. Zum einen kann ich mich in den Pausen zwischen den Stunden im Büro ohne lange Wege um Gemeindeangelegenheit kümmern. Zum anderen haben wir in der Kirche dank unseres Kurator-Stellvertreters ein erstklassig leistungsfähiges WLAN. Davon mache ich natürlich gerne Gebrauch.

Ich sitze also in meinen Stunden jeweils hier vorne an einem Tisch mit dem Laptop vor mir. Im Hintergrund sehen meine Schülerinnen und Schüler unser Glasbild mit Kreuz, Kelch und Bibel. Sie wissen also, dass ich in der Kirche sitze, und irgendwie tun sie das alle automatisch auch, zumindest virtuell.

Ohne es bewusst so geplant zu haben, nehmen wir in unseren Stunden damit eine jüdische Tradition auf. Im Judentum trifft man sich ja in der Synagoge nicht nur am Schabbat zum Gebet. Man kommt auch an anderen Tagen der Woche dort zusammen, zum Lesen in den heiligen Schriften, zum Lernen und zum Diskutieren. Im Jiddischen, der auf dem Deutschen aufbauenden Sprache des osteuropäischen Judentums ist das Wort für Synagoge daher auch einfach „Schul“.

So bin ich also auch am letzten Freitag gemeinsam mit einer Gruppe Zehnjähriger in der Erlöserkirche-Schul gesessen. Wir haben über Mose gesprochen, und dabei ganz besonders über die gerade gehörte Geschichte, also die Weigerung des Pharaos, die israelitischen Sklaven frei zu lassen, und die zehn Plagen, die durch die Sturheit des Pharaos dann über die Ägypter kommen. Wir haben uns dazu einen Film angeschaut, der diese Geschichte erzählt, „Prinz von Ägypten“, und mitten in die Beschreibung der zehnten Plage hinein, dem Tod jedes Erstgeborenen, auch des kleinen Sohnes des Pharao, bricht es aus einem Buben heraus: Moses ist ein Mörder!

Gut, jetzt gibt es nur eines: Film anhalten, alle schalten ihre Kameras und Mikrofone wieder ein, und wir reden über diesen Zwischenruf.

Ich mache einen erster Versuch zur Beruhigung der Situation und sage: Mose hat ja nicht die Plagen über die Ägypter gebracht. Er hat sie nur im Auftrag Gottes angekündigt. Darauf der Schüler: dann ist Gott ein Mörder. Okay, jetzt wird es wirklich schwierig. Ich setze also dazu an, möglichst altersgerecht darüber zu reden, dass wir Gottes Entscheidungen nicht durchschauen können und ja, auch Erwachsene sich schwer damit tun, wenn etwas Schlimmes passiert und Gott nichts dagegen tut und merke dabei: es rede mich hier gerade um Kopf und Kragen. Was ich auf dem Bildschirm sehen, sind freundliche Kindergesichter, die unmissverständlich zum Ausdruck bringen: keine Ahnung, was der Herr Professor sagen will. Während ich einem weiteren Versuch starte, mich verständlich zu machen, unterbricht mich eine Schülerin und meint: Gott ist kein Mörder. Der Pharao ist der Mörder. Der hätte ja tun können, was Gott von ihm wollte. Und weil er das nicht getan hat, sind jetzt alle Erstgeborenen tot.

Danke, danke, danke, habe ich mir gedacht. Denn was hat dieses Mädchen getan: sie hat, ohne es zu merken, einen der klassischen Gedankengänge in der Beschäftigung mit der theologischen Frage schlechthin dargestellt, nämlich die nach der Gerechtigkeit Gottes, nach der Theodizee, wie es die Theologinnen und Theologen nennen, oder, einfacher ausgedrückt, die Frage angesichts jeder Form von Leid: warum lässt Gott das zu?

Eine Antwort, oder ein Antwortversuch auf die Frage nach all dem Schrecklichen in der Welt ist: warum es Gott zulässt, wissen wir nicht. Aber warum wir es zulassen und nichts dagegen tun, das ist die Frage, die wir uns stellen sollten. Denn das wissen wir auch: vieles an Leid und Ungerechtigkeit in der Welt ist von Menschen gemacht und verursacht. Oder erst möglich, weil Menschen nichts tun und wegschauen.

Wenn Jüdinnen und Juden diese Geschichte lesen, und sie tun dies ja gerade besonders zu Pessach, am Passafest, zur Erinnerung an die Befreiung der israelitischen Sklaven, dann lesen sie es aus der Perspektive der Schwachen und Gedemütigten. Aus der Perspektive der Geschichte des jüdischen Volkes, mit all den schrecklichen Erfahrungen, die es gemacht hat. Aus dieser Perspektive ist die Antwort nach der Ursache des Leides ganz einfach: es sind die Mächtigen, die Machgierigen, die Skrupellosen, die Ausbeuter, die, die sprichwörtlich über Leichen gehen. Nicht nur über die Leichen der Unterdrückten. Sondern auch über die Leichen der eigenen Leute. Die Ägypter zahlen für die politischen Entscheidungen ihres Pharaos einen hohen Preis, viele von ihnen mit ihrem Leben. Nichts, was nicht auch heute an vielen Orten passieren würde. Es trifft oft genug nicht die Mächtigen, die falsche Entscheidungen getroffen haben. Es trifft oft genug die, die eh schon ganz unten sind. Und wenn aus deren Perspektive auf die Geschichte geschaut wird, und Jüdinnen und Juden tun das ganz bewusst, dann geht es plötzlich um etwas ganz anderes: da werden einem arroganten Herrscher mal so richtig die Grenzen aufgezeigt. Gott zeigt den Mächtigen oder denen, die Macht beanspruchen, die Grenzen auf. Der Pharao muss schmerzhaft erfahren, dass auch seine Macht nur vorläufig ist. Er legt politisch so richtig einen Bauchfleck hin und steht plötzlich vor den Trümmern seines ach so schönen Reiches. Und seien wir ehrlich: man gönnt es ihm eigentlich. Die Geschichte hat also durchaus auch eine therapeutische Wirkung, kann als Ventil für das Gefühl der Hilflosigkeit dienen.

Im Moses-Film, den ich mit meinen Schülerinnen und Schülern angeschaut habe, überlebt am Ende der Pharao Fluten des Schilfmeeres. Er wird von einer riesigen Welle an Land gespült, der Zeichen seiner Macht wie Waffen und Krone durch das Wasser beraubt. Er knallt richtiggehend auf einem Felsen auf, rappelt sich auf und schreit vor Wut und Hilflosigkeit, eine lächerliche und zur Karikatur verkommene Figur. Und wie reagieren die Schülerinnen und Schüler? Gerade noch waren sie schockiert und entsetzt über die Grausamkeit der Plagen. Mit den Israeliten haben sie mitgefiebert, ob sie es wohl durch das Schilfmeer schaffen werden, hinaus in die Freiheit. Und jetzt, wo es den bösen Pharao so richtig „auf’prackt“ hat, da bricht Jubel in der Erlöserkirche Schul aus. Die Geschichte ist voll angekommen – aus der richtigen Perspektive gesehen, funktioniert sie eindeutig auch noch heute.

Kein Mitleid mit dem Pharao? Ist das okay? Auch den ersten, die sich diese Geschichte weitererzählt haben, ist die Fragwürdigkeit dieser Haltung bewusst gewesen. Denn was passiert, kurz bevor die Israeliten losziehen? Der Pharao bittet Mose und Aaron, für ihn um Segen zu bitten. Ein versöhnlicher Moment, wenn auch nur eine Momentaufnahme. Auch der Pharao ist ein Kind Gottes. Auch er braucht seinen Segen. Für einen Augenblick ist ihm das klar. Leider nicht länger. Aber eine Ahnung bleibt. Gott will Schalom, Frieden, Wohlergehen für seine Menschen. Wer sich dem entgegenstellt, muss zwangsläufig scheitern. Wer aber mit Gott geht, kann sich auf ihn verlassen. Amen.

Interludium: Juliane Schleehahn: Improvisation
Gebet:

Barmherziger Gott,
wir schauen in unsere Welt und erkennen:
Es fehlen Liebe und Barmherzigkeit.
So fragen wir uns manchmal:
Haben Unrecht und Gewalt immer das letzte Wort?
Wir kommen mit unserem Gebet zu dir,
weil wir dir in den Ohren liegen wollen mit vielem,
was uns bewegt und bedrückt.

So bitten wir dich für die Flüchtenden in aller Welt.
Hilf, dass die Mächtigen ihnen nicht mehr Gewalt antun,
sondern ihnen sichere Orte zum Leben geben.
Öffne unsere Herzen für die, die unsere Hilfe brauchen.

Wir bitten dich für alle, die politisch verfolgt werden.
Hilf, dass ihre Botschaft gehört und respektiert wird.
Hilf, dass Diktaturen ihre Grenzen aufgezeigt bekommen.
Öffne unser Denken, dass wir offen werden für andere.

Wir denken an diejenigen, die unter uns krank sind
und sich einsam fühlen.
Hilf, dass sie die Hoffnung nicht verlieren und sich Geduld bewahren.
Öffne unsere Herzen für die, die unsere Zuwendung brauchen.

Wir denken auch an uns selber,
an unsere Familien und Freunde.
So vieles bewegt uns in diesen Tagen.
Stärke unseren Mut und lass nicht zu,
dass wir uns oder andere aufgeben.
Öffne unsere Sinne für Zeichen deiner Gegenwart.

Amen.

(Detlev Albrecht)

Unser Vater  …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Postludium: Juliane Schleehahn: Präludium a-Moll von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)