Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der ref. Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 8. August 2021
mit Robert Colditz


 

Präludium: Juliane Schleehahn
Lied: Evangelisches Gesangbuch 165, 1,5,8: Gott ist gegenwärtig

1) Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten. Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge. Wer ihn kennt, wer ihn nennt, schlag die Augen nieder; kommt, ergebt euch wieder.

5) Luft, die alles füllet, drin wir immer schweben, aller Dinge Grund und Leben, Meer ohn Grund und Ende, Wunder aller Wunder: ich senk mich in dich hinunter. Ich in dir, du in mir, lass mich ganz verschwinden, dich nur sehn und finden.

8) Herr, komm in mir wohnen, lass mein‘ Geist auf Erden dir ein Heiligtum noch werden; komm du nahes Wesen, dich in mir verkläre, dass ich dich stets lieb und ehre. Wo ich geh, sitz und steh, lass mich dich erblicken und vor dir mich bücken.

Grußwort: Gen 1,27:

„Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen.“ (BigS)

Begrüßung:

Haben Sie heute nach dem Aufstehen in den Spiegel geschaut und sich selbst als Bild Gottes wahrgenommen und einen guten Tag gewünscht? Wenn nicht, probieren Sie es doch mal aus! So wie wir heute gemeinsam den Sonntag und damit die Woche beginnen, indem wir uns unsere Verbundenheit mit Gott bewusst machen, könnten wir das einzeln auch jeden Morgen tun. Als Gemeinschaft spiegeln wir Gott natürlich umfangreicher. Freuen wir uns also auf unseren gemeinsamen Gottesdienst, im Namen Gottes, die uns ins Dasein gebracht hat, der uns mitten unter den Menschen ein von gesellschaftlichen Rollenerwartungen freies, weil göttlich verbundenes Leben vorgelebt hat und jetzt und immer bei uns ist. Amen.

Lasst uns beten:

Gott, danke, dass Du uns so nahe bist, wie nichts und niemand sonst sein kann. Du motivierst uns, zu uns zu stehen und liebevoll mit uns und allen Deinen Menschen und Geschöpfen umzugehen. Wir bekennen Dir, dass wir das leider oft trotzdem nicht gemacht haben. Wir bitten Dich dafür um Vergebung und bitten Dich: erneuere uns, unseren Bund, unsere Verbundenheit mit Dir im Hören und Verstehen Deines Wortes, das Du zu uns gesprochen hast und immer neu zu uns sprichst, indem Du es uns verständlich machst. Amen.

Lesung: So bekennen wir mit den Worten der Lesung aus Deut 32,18:

„An den Fels, der dich gezeugt hat, dachtest du nicht mehr, und den Gott, der dich geboren hat, hast du vergessen.“ (ZB).

Und so danken wir für Gottes Freundlichkeit, Gnade, Güte und Barmherzigkeit im Singen des Psalmliedes EG 294,1:

Nun saget Dank und lobt den Herren, denn groß ist seine Freundlichkeit, und seine Gnad und Güte währen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Du, Gottes Volk, sollst es verkünden: Groß ist des Herrn Barmherzigkeit; er will sich selbst mit uns verbünden und wird uns tragen durch die Zeit.

Predigttext:

Gnade sei mit Euch von der, die da war, von dem, der da kommt und von Gottes Anwesenheit, die da ist. Amen. Gal (Brief des Apostel Paulus an die Gemeinden in Galatien) 3,27f: „Ihr alle nämlich, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen. Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus.“ Soweit die Worte der Heiligen Schrift.

Liebe Gemeinde!

Mit der Realität scheint das wenig zu tun zu haben, dass alle die auf Christus getauft sind, „eins“ wären. Was hat diese Vorstellung der Einheit in Christus Jesus denn dann zu bedeuten? Zum Umgang mit der hier, wie in den anderen heutigen Schriftlesungen, angesprochenen Geschlechtlichkeit gibt es noch dazu Herangehensweisen, die einander ziemlich emotional widersprechen. Kann die Bibel diesbezüglich zum Frieden beitragen?

Was unsere drei Bibeltexte verbindet, sind entscheidende Aussagen über Gott und die Menschen. Die Menschen werden als Gottes Ebenbild bezeichnet – jeder Mensch hat somit einen unverlierbaren Wert und eine unverlierbare Verbindung mit Gott. Das ist durch unser Erschaffen sein so und geht auch nicht verloren, wenn wir die Verbindung mit Gott aufgeben. Die christliche Taufe erinnert uns daran mit Hilfe des Glaubens an Jesus Christus. Wichtig ist dabei vor allem aber auch wie von Gott gesprochen wird und wieso durch den Glauben an Jesus die Verbindung mit Gott bekräftigt werden kann.

Gott wird als gleichzeitig männlich und weiblich beschrieben, z.B. zeugt und gebiert Gott. Aufgrund der Gottebenbildlichkeit bedeutet das, dass auch wir Menschen, so wie Gott, nicht – sozusagen binär – festzulegen sind auf eines von beiden, sondern alle Anteil haben am Männlichen und Weiblichen. Das hat wichtige Auswirkungen: es bringt z.B. nichts sich als „Mann“ beweisen zu wollen, denn ein sogenannter „ganzer“ oder „echter“ Mann ist für Gott kein Kriterium, kein erstrebenswerter Status – die patriarchalen Kriterien dafür stammen nicht von Gott, sondern von Menschen, die sich diesbezüglich von Gott getrennt haben, obwohl sie vielleicht anderes behaupten. Jede Person ist so zu akzeptieren, wie sie ist, da auch Gott jenseits jeder Kategorisierung ist.

Der Respekt vor Gott drückt sich in der Bibel im nicht-kategorisierenden Bilderverbot aus, im Judentum auch im ehrfürchtigen Umgang mit dem Begriff und Namen Gottes, auch in der Form wie geschrieben wird. Wichtig ist es hier auch die biblische Abwechslung von verschiedenen Beschreibungen Gottes in unserem Sprechen von und zu Gott beizubehalten. Der Respekt vor den Menschen drückt sich in der Bibel in der Akzeptanz anderer Geschlechtlichkeiten als Mann oder Frau, auch durch Jesus und im Judentum von nicht nur einem, sondern mehreren weiteren Geschlechtern aus. Die Form wie wir diesbezüglich respektvoll sprechen und schreiben ist in unserer Gesellschaft gerade in Diskussion, da es wichtig ist um eine Sprache ohne Abwertungen zu ringen, weil Normen und damit die perfekte Lösung in dem Bereich eben unmöglich sind.

Ein Ringen in dem auch Fehler mit schweren Folgewirkungen passieren, finden wir auch schon bei Paulus. Einerseits passt er sich den Normen seiner Gesellschaft an, andererseits durchbricht er diese. In seinen Worten zur Taufe gibt er sowohl eine theologische Erkenntnis, als auch gelebte Praxis in urchristlichen Gemeinden wieder. Beide sind gegenüber seiner und unserer Gesellschaft revolutionär und beide folgen direkt aus dem Vorbild Jesu. Jesus hat die damals von einem Mann erwarteten Rollen nicht erfüllt, er ist ohne Beruf, kein Ehemann, Vater, Haushaltsvorstand, durchbricht die sozialen Standards gegenüber seiner Mutter und Familie, wie auch gegenüber allen von der Gesellschaft Abgewerteten, denen er auf Augenhöhe als Gleichwertige begegnet. Herkunft, Geschlechterrollen und soziale Stände jeglicher Art gelten für ihn nicht, weil im Reich Gottes alle diese Rechte und Pflichten nicht gelten. Mit der Taufe begeben sich Menschen, die Jesus glauben, in diese Wirklichkeit des Reiches Gottes – einer Wirklichkeit, der sie mehr vertrauen als der von der Gesellschaft vorgegebenen Realität. Die die glauben in der gesellschaftlichen Realität nach ihren eigenen Regeln erfolgreich zu sein verspotten damals wie heute diese Menschen, ja auch uns, wie Tertullian um das Jahr 200 schreibt: „Und die Menge in der Zirkusarena brüllt: ‘Wo bleibt das dritte Geschlecht?‘“ Damit gemeint war damals die verachtete und verfolgte christliche Minderheit. Die Aufhebung und Unbestimmtheit der Geschlechterrollen in frühchristlichen Gemeinden wurde also gelebt und wahrgenommen.

Der heutige Unfrieden in der Gesellschaft und im Christentum selbst entsteht immer noch durch die Trennung und Ausgrenzung von Verschiedenartigkeiten und das eigenmächtige Durchsetzen von unhinterfragten Überzeugungen. Dabei sollte uns die Bibel doch helfen zu verstehen, dass ursprünglich und letztlich alle eins sind und also wahre Macht die ist, die die Kreativität in der bunten Welt Gottes entfaltet und zum Zusammenwirken von Verschiedenartigkeiten bringt. Wir können froh sein, dass wir in unserer Gemeinde keine Unterschiede machen aufgrund ethnischer oder religiöser Herkunft, Ausbildungsstatus und Geschlechtsstatus, aber vielleicht können wir da ja auch noch etwas verbessern – bleiben wir dazu im Gespräch. Frieden kann es nur geben, wenn wir einander mit dem höchsten Respekt als Teil von Gottes Ebenbild behandeln, wenn wir uns alle als von Gott gezeugt, geboren und selbstverständlich angenommen verstehen und so miteinander statt gegeneinander leben.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 268, 1,3,5: Strahlen brechen viele aus einem Licht

1) .. Strahlen brechen viele aus einem Licht. Unser Licht heißt Christus. Strahlen brechen viele aus einem Licht – und wir sind eins durch ihn.

3) Gaben gibt es viele, Liebe vereint. Liebe schenkt uns Christus. Gaben gibt es viele, Liebe vereint – und wir sind eins durch ihn.

5) Glieder sind es viele, doch nur ein Leib. Wir sind Glieder Christi. Glieder sind es viele, doch nur ein Leib – und wir sind eins durch ihn.

Lasst uns beten:

Gott, wir lassen uns meistens mehr von der Gesellschaft mit ihren Realitäten, ihren Trennungen, Ausgrenzungen und Ängsten bestimmen, als von Deinem Reich, Deiner Wirklichkeit, die uns durch Leben und Tod trägt, uns mit Dir und allen Deinen verbindet und unser Vertrauen in uns selbst und Dich und Deine verbindende und aufbauende Macht stärkt. Du bist unser Fels, Du gibst uns Ruhe und Gelassenheit, wir wollen Dich nicht mehr vergessen. Unser Christus Jesus, Du hast uns gezeigt, wie es geht, frei und furchtlos durch’s Leben zu gehen und unsere Mitmenschen als Ebenbild Gottes zu achten. Wir sind schockiert, dass Deine Christenheit Dir in der Geschichte und auch heute darin viel zu oft nicht nachfolgt. Menschen, die sich als intergeschlechtlich, transident, bisexuell, lesbisch, schwul oder auf andere Weise quer zur Mehrheit in der Frage ihrer Geschlechtlichkeit wahrnehmen und bezeichnen, bitten wir um Verzeihung. Wir wollen daran arbeiten Diskriminierungen, worauf sie auch immer beruhen, zu beseitigen. Heiliger Geist, Du bist ja die Frau Weisheit, die vor uns Menschen schon von Gott geboren wurde. Du zeigst uns, wie weibliches und männliches Denken und Streben zusammenwirken soll. Wir wollen auf Dich hören, unser Leben partnerschaftlich ordnen und gegen die, die den Frieden nicht wollen Schutz bieten.

Gott, es gibt so vieles was uns beschäftigt – lass uns mit Dir und miteinander reden, damit anfangen, weitermachen und nie aufhören. Alles wofür wir noch keine Worte haben, fassen wir nun in das Gebet, dass uns Jesus gelehrt hat:

Unser Vater im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen

Abkündigungen:
Empfangt den göttlichen Segen:

G*tt segne Dich und behüte Dich,
G*tt lasse ihr Angesicht leuchten über Dir und sei Dir gnädig,
G*tt erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 430, 1-4: Gib Frieden, Herr, gib Frieden

1) Gib Frieden, Herr, gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf. Recht wird durch Macht entschieden, wer lügt, liegt obenauf. Das Unrecht geht im Schwange, wer stark ist, der gewinnt. Wir rufen: Herr, wie lange? Hilf uns, die friedlos sind.

2) Gib Frieden, Herr, wir bitten! Die Erde wartet sehr. Es wird so viel gelitten, die Furcht wächst mehr und mehr. Die Horizonte grollen, der Glaube spinnt sich ein. Hilf, wenn wir weichen wollen, und lass uns nicht allein.

3) Gib Frieden Herr, wir bitten! Du selbst bist, was uns fehlt. Du hast für uns gelitten, hast unsern Streit erwählt, damit wir leben könnten, in Ängsten und doch frei, und jedem Freude gönnten, wie Feind er uns auch sei.

4) Gib Frieden, Herr, gib Frieden: Denn trotzig und verzagt hat sich das Herz geschieden von dem, was Liebe sagt! Gib Mut zum Händereichen, zur Rede, die nicht lügt, und mach aus uns ein Zeichen dafür, dass Friede siegt.

Postludium: Juliane Schleehahn: Präludium a-Moll von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)