Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der ref. Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 7. März 2021
mit Pfr. Johannes Wittich


Orgelvorspiel: Juliane Schleehahn
Spruch: 2. Kor. 4,5a:

Denn nicht uns selbst verkündigen wir, sondern Jesus Christus als den Herrn.

Begrüßung:

In allem Nachdenken, Grübeln, Planen und Hoffen, in allen
Bemühungen, auch unsere Gemeinde, unsere Gemeinschaft gut durch diese schwierigen Zeiten zu führen, dürfen wir wissen: es geht im Letzten nicht um das, was wir tun, sondern das, was Gott entstehen lässt. Wir verkünden nicht uns, wenn wir uns als Christinnen und Christen zu Wort melden, sondern Christus, das, was mit ihm an Hoffnung für diese Welt verbunden ist.

Wir richten unseren Blick nach vorne, rechnen nicht nur mit Gottes Hilfe, sondern wollen das sehen, was durch Christus schon da ist und auch immer wieder neu entsteht. Auf diesen Weg stellen wir uns gemeinsam, und wollen auch andere mitnehmen. Dazu lassen wir uns ermutigen und ermächtigen, wenn wir gemeinsam Gottesdienst feiern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 34, 16-21:

16 Die Augen des Herrn sind bei den Gerechten
und seine Ohren bei ihrem Schreien.
17 Das Angesicht des Herrn steht gegen die, die Böses tun,
um ihr Andenken zu tilgen von der Erde.
18 Schreien die Gerechten, hört es der Herr,
und er befreit sie aus all ihrer Not.
19 Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens,
hilft denen, die zerschlagenen Geistes sind.
20 Zahlreich sind die Leiden des Gerechten,
doch aus allem befreit ihn der Herr.
21 Er behütet alle seine Gebeine,
nicht eines von ihnen wird zerbrochen
.

Gebet:

Herr, unser Gott,
immer wieder sind wir gefangen in alten Mustern,
alten Überzeugungen, alten Gewohnheiten –
oft genug, ohne es zu merken.
Wenn wir uns und anderen dabei schaden,
brauchen wir deine Vergebung,
deine Weisungen und deinen Frieden.
Als die, die oft an der Welt verzweifeln
und in ihrem Leben verzagen,
rufen wir zu dir, Gott,
und sehnen uns nach deinem Erbarmen.
Barmherziger Gott,
wenn wir uns heimatlos fühlen,
gibst du uns ein Zuhause;
wenn wir unsere Toten betrauern,
wissen wir sie in deiner Hand geborgen;
wenn Beziehungen zerbrechen,
vertrauen wir auf deine heilende Hand.
So öffne unsere Augen,
zeige uns deine Ewigkeit,
die schon angefangen hat
gib uns einen Blick hinter den Schleier,
der oft unser Leben verhüllt.
Lass uns nach vorne blicken,
in die Zukunft, die du uns verheißt,
durch den Heiligen Geist in Christus Jesus.
Amen.

(nach Sebastian Kuhlmann)

Lied: Evangelisches Gesangbuch 385, 1-3: 

1) “Mir nach”, spricht Christus, unser Held,
“mir nach, ihr Christen alle!
Verleugnet euch, verlasst die Welt,
folgt meinem Ruf und Schalle;
nehmt euer Kreuz und Ungemach
auf euch, folgt meinem Wandel nach
.

2) Ich bin das Licht, ich leucht euch für
mit heilgem Tugendleben.
Wer zu mir kommt und folget mir,
darf nicht im Finstern schweben.
Ich bin der Weg, ich weise wohl,
wie man wahrhaftig wandeln soll.

3) Ich zeig euch das, was schädlich ist,
zu fliehen und zu meiden
und euer Herz von arger List
zu rein’gen und zu scheiden.
Ich bin der Seelen Fels und Hort
und führ euch zu der Himmelspfort.

Predigttext: Lk. 9, 57-62:

57 Und als sie so ihres Weges zogen, sagte einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst.
58 Jesus sagte zu ihm: Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels haben Nester, der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.
59 Zu einem anderen sagte er: Folge mir! Der aber sagte: Herr, erlaube mir, zuerst nach Hause zu gehen und meinen Vater zu begraben.
60 Er aber sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben. Du aber geh und verkündige das Reich Gottes.
61 Wieder ein anderer sagte: Ich will dir folgen, Herr; zuerst aber erlaube mir, Abschied zu nehmen von denen, die zu meiner Familie gehören.
62 Jesus aber sagte zu ihm: Niemand, der die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, taugt für das Reich Gottes.

Liebe Gemeinde!

So kann man Begeisterung erfolgreich im Keim ersticken!

Da wenden sich Menschen, Anhänger von Jesus an ihn, drücken ihre Bereitschaft aus, sich ihm ganz anzuschließen. Man merkt ihnen an, welcher Schwung in ihnen steckt, welcher Enthusiasmus: „Wir wollen dir folgen, wohin es auch immer geht; wir wollen dabei sein, wenn du das machst, wozu du gekommen bist; wir wollen an deiner Seite sein, wenn die Welt sich durch dich zu verändern beginnt. Und wo es möglich ist, wollen wir dir auch dabei helfen. Lass uns nur noch schnell die wichtigsten Dinge zu Hause regeln – dann kann es losgehen!“

Und Jesus? Der macht alles kaputt. Der setzt der Begeisterung einen Dämpfer auf, und zwar was für einen! „Du willst mir nachfolgen? Na, dann freu dich schon mal drauf, obdachlos zu werden! Du willst deinen gerade verstorbenen Vater beerdigen? Geh‘, wer braucht das schon! Du willst dich noch von deiner Familie verabschieden, bevor du mit mir losziehst? Na, dann lass es lieber gleich bleiben!
.
Jesus schafft es in wenigen Sätzen, zu demotivieren, pietätlos zu sein und Beziehungen zu zerstören. Denn wer hat noch Lust, ihm nachzufolgen, bei einem solchen Dämpfer? Wer möchte ihm nachfolgen, wenn dann das ganze Dorf einen für einen herzlosen Kerl hält, der nicht einmal den Anstand hatte, seinen toten Vater zu beerdigen? Oder für einen, der ohne Abschied seine Familie hat sitzen lassen?

„Niemand, der die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, taugt für das Reich Gottes.“ Das ist der Anspruch Jesu. Klar und kompromisslos formuliert. Ich muss zugeben: als junger Mensch habe ich mit diesem Satz Jesu kein Problem gehabt. Ja, genau so muss sie sein, die christliche Existenz, habe ich mir gedacht: nach vorne gerichtet, ohne Ballast aus der Vergangenheit, ohne „Rucksack“, der einen belastet und bei jedem Schritt zu spüren ist. Auf in ein Leben, in eine Zukunft, die von diesem radikalen Geist Jesu geprägt ist.

Die Faszination dieses Ansatzes, die besondere Freiheit, die mit ihm einhergeht, die spüre ich heute noch. Die Umsetzung, oder auch nur der Glaube, dass die Umsetzung möglich, ist schwerer geworden. Die „Risiken und Nebenwirkungen“ einer solchen Haltung schieben sich in den Vordergrund. Meine Eltern leben beide nicht mehr, und kann mir bei beim besten Willen nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, hätte ich keine Möglichkeit gehabt, von ihnen Abschied zu nehmen, ganz konkret auch bei der Beerdigung. Mein Umfeld, meine Freunde, die Beziehungen, in denen ich lebe, sind mir wichtiger geworden. Schließlich kommt man nicht mehr so viel herum wie noch in Studientagen und schließt nicht mehr bei jeder Gelegenheit neue Freundschaften. Hier einen radikalen Schnitt zu vollziehen, ohne Abschied, dass möchte ich auf keinen Fall. Und schließlich bin ich sesshafter und damit auch träge geworden; ohne einen Ort, an dem ich mich wirklich sicher und zu Hause fühle, möchte ich nicht mehr leben und es zieht mich auch nicht mehr in die weite Welt hinaus.

Nicht nur, dass all das wichtiger geworden ist. In Zeiten von Corona ist sind genau diese Sicherheit und Stabilität unverzichtbar. Wie gut, dass wir alle sie grundsätzlich haben; und wie schlimm für die, die gerade jetzt darum kämpfen müssen.

Nein, unsere Zeit jetzt ist keine für gewagte Aufbrüche. Trotzdem, wie gesagt: irgendwie schwingt die ursprüngliche Faszination des Satzes Jesu von der Hand am Pflug und dem bewusst nicht nach hinten gesetzten Blick zurück immer noch mit, wann immer ich ihn lese oder höre. Er bringt immer noch eine Saite in mir zum Klingen. Bewusst kein Blick zurück, auch jetzt, in diesen Zeiten?

Ich denke, das hat was. Natürlich: wie gerne würden wir zur Normalität zurückkehren, zur früheren Normalität. So leben, wie wir vor einem Jahr gerade noch gelebt haben. Allerdings: Wollen wir das wirklich? Können wir nicht vielmehr jetzt schon sagen, immer noch mitten in der Pandemie, dass wir so viele Erfahrungen gemacht haben, so viel gelernt haben, dass es gar nicht mehr wieder so sein kann wie früher. Und zwar auch im positiven Sinn. Wir haben uns auf Wesentliches konzentrieren müssen, viele Dinge neu bewertet und zu schätzen gelernt, wir haben uns Gedanken machen müssen darüber, was wirklich wichtig ist, wir haben kreativ sein müssen und sind es noch jeden Tag, wir haben unseren Glauben und unser Gottvertrauen neu aufstellen müssen und tun auch das immer wieder, sowohl als Einzelpersonen, wie auch als Gemeinde.

Aus dieser Erfahrung heraus kann es gar nicht mehr so werden, wie früher. Gewiss, manches kommt einfach wieder: Kontakte, Gemeinschaft, Reisen, kulinarischer wie kultureller Genuss. Ich bin aber ganz sicher: es wird alles eine neue Wertigkeit haben, sobald es wieder möglich ist.

Und bis dahin? Bis dahin schauen wir nach vorne. Tat das ein Bauer in der Vergangenheit nicht, wenn er seinen Pflug von einem Ochsengespann über den Acker ziehen ließ, dann wurden die Ackerfurchen nicht gerade. Fokussiert, mit einem entschlossen Blick nach vorne, hat sich das beste Ergebnis erzielen lassen.

Denn schließlich: was hinter uns liegt, dass wissen wir eh. Das Gute wie das Schlimme. Das ist da und verschwindet nicht einfach. Aber bewusst nach vorne geschaut, wird das Schlimme weniger schlimm und das Gute gibt uns Rückhalt und Rückenwind.

Der Blick nach vorne, den brauchen wir. Natürlich auch Momente, in denen wir verschnaufen und Luft holen. Aber dann geht es wieder weiter.

Im Vertrauen: Gott schenkt Zukunft. In diese Zukunft geht unser Blick.

Amen.

Gebet:

Mut zu Entscheidungen, guter Gott;
Fantasie, um zu handeln,
ja, auch den Mut, Fehler zu machen,
den Mut zur Reue, den Mut zur Vergebung –
dies alles brauchen wir, um unser Leben hier zu gestalten.

So bitten wir dich heute besonders für die,
die sich wie gelähmt fühlen vor den Anforderungen unserer Welt:
die Pandemie und ihre Folgen,
aber auch immer noch:
Flüchtlingskrise, Klimawandel, Artenschutz,
gerechte Verteilung von Essen und Trinken –
so viele Probleme, so viele Entscheidungen, die nötig sind.

Wir bitten für die, die den Mut verloren haben,
die meinen, man könne ja doch nichts ändern, doch nichts tun
.

Wir bitten für die, die sich vor dem Leben zurückziehen,
die einsam, krank oder traurig geworden sind
.

Für uns alle bitten wir, guter Gott:
Gib uns deine Kraft, deinen Mut, dein Erbarmen.
Schenke uns deinen Geist der Stärke.

Segne uns, Gott, wenn wir jetzt beten, wie schon dein Sohn gebetet hat:.

(nach Rita Lischewski)

Unser Vater im Himmel …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Klaviernachspiel: Juliane Schleehahn: Nr 21 aus “Album für die Jugend” op. 68 von Robert Schumann (1810 – 1856)