Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der ref. Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 25. April 2021
mit Pfr. Johannes Wittich


Präludium : Martin A. Seidl und Katharina Radner: Osterlied von Georg Neumark (1621 – 1681)
Spruch: Offb. 1,18b:

Ich war tot und siehe, ich lebe in alle Ewigkeit, und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt.

Begrüßung:

Willkommen zum Gottesdienst mit, wie wir schon merken durften, einem musikalischen Schwerpunkt.

„Seine Auferstehung machet, dass ein Christ des Todes lachet,“ hat der evangelische Liederdichter Georg Neumark in seinem „Osterlied“, dass wir gerade gehört haben, geschrieben. Neumarks Leben war von einer der größten und dramatischten Krisen der europäischen Geschichte geprägt, dem dreißigjährigen Krieg. In dieser Zeit hat er seinen wohl größten „Hit“ geschrieben: Wer nur den lieben Gott lässt walten, in unserem Gesangbuch unter der Nummer 369.

Auch seine Werke nach dem großen Krieg sind von dieser Erfahrung geprägt: Gott hilft, Gott bewahrt, die Kraft der Auferstehung Jesu Christi trägt durch schwere Zeiten. Dessen lassen wir uns wieder vergewissern, wenn wir gemeinsam feiern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Gebet:

Wir haben gedankenlos gelebt,
Gott,
haben deinen Beistand gering geschätzt.
Unseren Willen wollten wir durchsetzen,
auf unsere Stärke haben wir vertraut
und nicht auf deine guten Mächte.
Deine Boten sollten wir füreinander sein
und haben nur an uns selbst gedacht.
Dadurch spüren wir dich oft nicht in unserem Leben;
es fehlt, was uns stärkt und Hoffnung gibt.
Du, unser Gott,
hast in den Tagen nach dem Wunder deiner Auferstehung
zu den Jüngern gesprochen,
du hast mit ihnen gegessen und getrunken
und ihnen neue Hoffnung geschenkt.
Darum bitten wir dich: Sei uns nahe,
lass uns dein Wort hören und deine Nähe spüren.
Sei du, wie versprochen, mitten unter uns.
Amen
.

(nach Roland Kupski)

Lied: Evangelisches Gesangbuch 329, 1-2: Bis hierher hat mich Gott gebracht

1) Bis hierher hat mich Gott gebracht
durch seine große Güte,
bis hierher hat er Tag und Nacht
bewahrt Herz und Gemüte,
bis hierher hat er mich geleit’,
bis hierher hat er mich erfreut,
bis hierher mir geholfen.

2) Hab Lob und Ehr, hab Preis und Dank
für die bisher’ge Treue,
die du, o Gott, mir lebenslang
bewiesen täglich neue.
In mein Gedächtnis schreib ich an:
Der Herr hat Großes mir getan,
bis hierher mir geholfen.

Predigttext: Psalm 130:

1 Ein Wallfahrtslied.
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir,
2 Herr, höre meine Stimme,
lass deine Ohren vernehmen
den Ruf meines Flehens.
3 Wenn du Sünden anrechnest, Herr,
Herr, wer kann bestehen?
4 Doch bei dir ist die Vergebung,
damit man dich fürchte.
5 Ich hoffe auf den Herrn, meine Seele hofft,
ich harre auf sein Wort.
6 Meine Seele harrt auf den Herrn,
mehr als die Wächter auf den Morgen,
mehr als die Wächter auf den Morgen.
7 Harre, Israel, auf den Herrn.
Denn beim Herrn ist die Gnade,
und bei ihm ist Erlösung in Fülle.
8 Er wird Israel erlösen
von allen seinen Sünden.

Liebe Gemeinde!

Auf dem Cartoon, das am Eingang zum Gottesdienst verteilt worden ist, sehen wir eine Frau, die in ein Loch am Boden hineinruft: „Gunter, du hast keine Depressionen. Du bist wirklich in ein tiefes Loch gefallen.“

„In einen tiefes Loch fallen“ – diesen Ausdruck kennen wir. Er beschreibt einen emotionalen Absturz. Was immer diesen ausgelöst haben mag – die Gefühle sind im Krisenmodus. Das „Loch“ steht für Angst, innere und äußere Lähmung, für Gedanken, die im Kopf durcheinander gehen, das Gefühl, nicht zu wissen, wie es weiter gehen soll.

In ein „tiefes Loch“ ist auch Gunter auf unserem Bild gefallen. Er ist am Grübeln, am Sortieren seiner Emotionen, am Nachdenken darüber, was schief gelaufen ist und was ihn in diesen seelischen Ausnahmezustand gebracht hat. Und da kommt die befreiende Botschaft: Gunter, es hat mit deinen Gefühlen gar nichts zu tun. Du sitzt gerade in einem tatsächlichen Loch.

Von einem tiefen Loch spricht auch der 130. Psalm. „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.“ Ein psychischer Notstand wird beschrieben. Die „Tiefe“ kann, wörtlich übersetzt, auch „Bodenlosigkeit“ bedeuten. Eine menschliche Seele im freien Fall sozusagen, die weiter und weiter versinkt. Dramatisch, aber doch nicht gänzlich ohne Hoffnung. Denn was macht der Mensch, der seine momentane Situation so beschreibt? Er betet: aus der Tiefe rufe ich zu dir, Gott. Er hat einen Ansprechpartner in dieser Situation. Er weiß, wo er sich Hilfe holen kann, woher Hilfe kommt. Er rechnet mit Hilfe, weil so ist er ja, sein Gott: einer, der da ist, wenn man ihn braucht.

Was hat den Psalmbeter ins tiefe Loch fallen lassen? Es ist die Erkenntnis seiner „Sünden“. Die Einsicht: ich kann vor Gott aus eigener Kraft nicht bestehen. Nun wissen wir, dass die Bibel, wenn sie von „Sünde“ spricht, nicht unbedingt nur falsches Handeln meint. Vielmehr geht es um das, was falsches Tun und Denken, Entwicklungen in die falsche Richtung verursacht und auslöst: der Verlust der Verbindung, des „Drahts zu Gott“. Und man hört es aus den Worten des Psalmbeters heraus: er will diese Verbindung zu Gott wieder herstellen. Er will gehört, wahrgenommen, verstanden werden. Er weiß: eine andere Lösung gibt es nicht. Beides spielt hier zusammen: Sehnsucht – und Zuversicht.

Dieser Psalm hat Menschen immer wieder inspiriert, hat geholfen, seelische Not zu artikulieren. Gunter aus dem Cartoon hat mich aber auch darüber nachdenken lassen: wie ist es, wenn die Verzweiflung, die im Psalm beschrieben wird, ganz konkrete Ursachen hat? Seelische Not, ausgelöst durch materielle Not, erdrückende Lebensumstände, Verletzung und Demütigung durch Andere. Wie ist es mit denen, die wirklich in einem dunklen Loch sitzen, in einer Gefängniszelle, in einem Schützengraben, in einem Schlauchboot oder auf einem Lastwagen mit anderen Menschen auf der Flucht, in einem nassen und kalten Zelt auf einer griechischen Insel, in einem nur mangelhaft ausgestatteten Spital oder Lazarett mitten in Krieg oder Pandemie? Wie klingt es dann, wenn aus der Tiefe zu Gott gerufen wird?

Ernesto Cardenal, Priester, Schriftsteller und politischer Aktivist aus Nicaragua ist dieser Frage nachgegangen und hat unseren Psalm so übersetzt:

„Ich flehe dich an, Gott,
nachts, in meinem Gefängnis,
in der Folterkammer, im Dunkelarrest,
und während des Kreuzverhörs.
Höre meine Stimme, mein SOS.“

Eine solche Übertragung und Aktualisierung eines biblischen Gebets erinnert uns daran: Not ist konkret. Not hat Ursachen. Ursachen, die benannt werden müssen. Ursachen, gegen die etwas gesagt und getan werden muss.

Das Bild vom „tiefen Loch“, in das die Seele in einer Krisensituation fällt, hilft das, was da gerade geschieht, verständlich zu machen. Das, was an Gefühlen mit einer Krise einhergeht. Wenn es aber dann um den Weg heraus aus dieser Situation geht, dann braucht es mehr als schöne Bilder und Metaphern.

In der Krise, und das kennen wir auch, ist die Bitte an Gott oft genug mit ganz klaren Vorstellungen verbunden, was geschehen muss. „Herr, lass ein Wunder geschehen, lass etwas passieren, was meine Lage verändert.“ – Solche Bitten werden Gott gehört, das ist unser Glaube. Aber auch, dass wir solche Bitten anderer zu unserem Anliegen machen und tätig werden sollen. Im Auftrag Gottes. Der uns zu Retterinnen und Rettern aus den vielen Tiefen und Abgründen dieser Welt berufen hat.

Menschen wie der Psalmbeter bauen eine Leitung zu Gott auf, rufen ihn im wahrsten Sinne des Wortes an. Wir können uns dazwischenschalten und diese Rufe auch hören. Und sie ernst nehmen und zu unserem Anliegen machen. Gegen diese Art von „Lauschangriff“ hat Gott ganz sicher nichts. Amen.

Interludium: Martin A. Seidl und Katharina Radner: Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)
Gebet:

Gott, wir bitten dich,
für die Menschen um uns herum,
Familie, Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen,
dass wir auf Empfang schalten,
wenn sie etwas zu sagen haben,
Hilfe brauchen und Unterstützung.
Wir bitten dich für uns
als Kirche und Gemeinde,
dass wir mithören, wenn Menschen zu dir rufen
und dich um Hilfe bitten
und Wege finden,
deine Antwort auf ihre Nöte zu sein.
Wir bitten dich für Mächtige und Entscheidungsträger,
dass sie eine Draht haben
für die Bedürfnisse der Menschen, die ihnen anvertraut sind.
In der Gemeinschaft deiner Kinder
Sind wir beides:
Bittende und Hörende,
Rufende und Verstehende.
Mit deiner Hilfe können wir helfen,
deine Antwort sein.
Und gemeinsam beten wir …

Unser Vater im Himmel …

Abkündigungen:
Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Postludium: Martin A. Seidl: Fuga “Christ ist erstanden” von Johann Georg Albrechtsberger (1736 – 1809)