Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der ref. Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 23. Mai 2021,
mit Pfr. Thomas Hennefeld,
Kanzeltauschgottesdienst (Pfingsten)


Präludium : Juliane Schleehahn: “Album für die Jugend” p68 von  Robert Schumann (1810 – 1856)
Predigttext: Apg. 2, 11-13:

Wir alle hören sie in unseren Sprachen von den großen Taten Gottes reden. Sie waren fassungslos, und ratlos fragte einer den andern: Was soll das bedeuten? Andere aber spotteten und sagten: Die sind voll süßen Weins.

Predigt:

Es gibt viele Geister, und es ist gut, die Geister voneinander zu unterscheiden. Einer der bekanntesten Geister ist gar nicht biblisch: der berühmt-berüchtigte Geist aus der Flasche, der Flaschengeist. Er hat seinen Ursprung in den Märchen von 1001 Nacht und ist eingegangen in diverse europäische, auch deutschsprachige Volkserzählungen. In den meisten Erzählungen ist dieser Geist ein Ungeist, ein böser Geist, der aus Strafe für Ungehorsam in die Flasche verbannt wurde. In der Flasche ist er nützlich und erfüllt dem Besitzer so manche Wünsche, aber wehe er wird freigelassen. Dann kann er alles Mögliche an Unheil verbreiten.
Aber auch ohne Geist kann ein Öffnen der Flasche und das Trinken daraus fatale Folgen haben. Wer zu tief ins Glas geschaut oder zu viel aus der Flasche getrunken hat, kann schon wunderlich werden, fängt vielleicht an zu lallen, hat eine schwere Zunge. Wer sich berauscht, von dem wird man sagen, er sei betrunken. Er ist nicht mehr Herr seiner Sinne. Er oder sie hat sich nicht mehr ganz unter Kontrolle, wobei im Rausch auch die besten Ideen einem kommen können und der Mensch vielleicht gerade dann die Wahrheit sagt, wo er sich nicht mehr kontrollieren kann. „In vino veritas.“
Es gibt in allen Religionen Ekstase und dazu werden durchaus auch Rauschmittel eingesetzt. Und es gibt in bestimmten religiösen Gruppen eine besondere Art der Rede, das Zungenreden, wo Menschen in unverständlichen Lauten reden, als wären sie betrunken.

Aber das trifft ja für diese Situation gerade nicht zu.
Was war passiert?
Jesus ist in den Himmel erhoben worden. Die Jünger versammelten sich zum jüdischen Schawuotfest (Erntedank). Es waren Menschen aus vielen Ländern und Sprachen zusammen.
Da entstand auf einmal vom Himmel her ein Brausen, ein Sturm kam auf und erfüllte das ganze Haus. Dann wird berichtet von Zungen, die sich auf die Menschen niederließen. Und sie wurden alle erfüllt von heiligem Geist und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie der Geist es ihnen eingab. Das errregete Aufsehen, so dass viele weitere Menschen zusammenströmten, die hatten andere Sprachen, aber konnten die Worte trotzdem verstehen.
Die Volksmenge aus verschiedenen Ländern hören die Jünger in ihren eigenen Sprachen, also keine Zungenrede, kein unverständliches Gemurmel, ganz klar. Sie dürften alles verstanden haben. Es muss der Inhalt gewesen sein, der manche entsetzt oder zu Spott veranlasst.
Die Reaktion eines Teils der Volksmenge geschieht nach dem Motto: Wenn ich den anderen nicht verstehe, dann muss er entweder betrunken oder verrückt sein.
Das ist ja auch heute nicht selten die Reaktion auf für mich Unverständliches. Auch wenn wir dieselbe Sprache sprechen, sprechen Menschen unterschiedliche Sprachen und können oder wollen einander nicht verstehen.

Da bewirkt der Heilige Geist das Reden in fremden Sprachen, ohne diese gelernt zu haben. Das würde sich manch einer wünschen. Ich bete um den Heiligen Geist und schon verstehe ich Arabisch, Russisch, Chinesisch.

Der Sinn ist aber, dass sie von anderen verstanden wird.
Und doch führt es nicht automatisch zum Verstehen. Der Heilige Geist bildet hier vielmehr die Brücke zu einem wirklichen neuen Verstehen.
Trunken sein von Wein kann Kreatives zum Vorschein bringen aber ungleich kräftiger ist der Heilige Geist.
Er bringt eine neue Dynamik in den Beziehungen zwischen den Menschen. Er setzt die Jünger in Bewegung, er führt zu tieferem Verständnis. Der Heilige Geist verhindert Resignation, Lethargie, Ohnmacht und Gewohnheit.
Der Geist in der Flasche soll dort bleiben. Wehe, wenn die Ungeister entweichen und man ihnen freien Lauf lässt. Die Geister des Rassismus, des Nationalismus, des Egoismus.

Der Heilige Geist soll sich ausbreiten und anstecken, soll die Welt in einen Brand der Liebe stecken, das alles brennt aber nicht verbrennt.

Und Petrus nützt den Kairos. Er setzt gerade bei der scheinbaren Trunkenheit an und erinnert die Volksmenge an die Verheißungen Gottes.
Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint; es ist doch erst die dritte Stunde des Tages. Nein, hier geschieht, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist.
Die Leute sind eben nicht betrunken, sie sind stocknüchtern. Aber nüchtern nicht im Sinn von fad und langweilig, als könnte man nur mit Alkohol lustig und kreativ sein. Die Jünger sind vielmehr bei klarem Verstand und bei der Sache mit vertrauensvollem Herzen. Und der Heilige Geist bewirkt, dass sie Visionen und Träume haben.
Möge auch uns der Heilige Geist diese Art von scheinbarer Trunkenheit eingeben. Der Geist macht lebendig, lässt uns in einem ganzheitlichen Sinn verstehen, auch die Zusammenhänge begreifen und er setzt uns in Bewegung, dass wir nicht nur in Ekstase geraten und ein tolles religiöses Glücksgefühl empfinden sondern uns auf den Weg machen wie die Jünger und trotz aller möglichen schwierigen Umstände, trotz Widerstände uns fröhlich und hoffnungsfroh aufmachen auf unseren Weg.

Postludium: Juliane Schleehahn: Allegro moderato maestoso von Felix Mendelsson-Bartholdy (1809 – 1847)