Andacht aus der reformierten Erlöserkirche, Wien-Favoriten, 5. April 2020
mit Ulrike Wittich


Musik zur Einstimmung
Psalm 68, 27: 

Lobt Gott in den Versammlungen!

Begrüßung:

Das ist tatsächlich die heutige Tageslosung! Unpassender könnte sie ja
wohl kaum sein, jetzt, wo jede Art von Versammlung strengstens untersagt ist! Als ich diesen Vers in den Losungen sah, habe ich mich gefragt, ob man die Losungen nicht auch einmal situationsgerecht ändern und anpassen könnte, zumindest in der online-Version. Ironie des Schicksals, Sarkasmus oder Herausforderung? Nein, wir sind keine Gottesdienstversammlung heute. Aber wir sind verbunden, in Gedanken und in Gebeten. In online Nachrichten und Telefonaten, in Videokonferenzen und durch Postkarten. Unser gemeinsamer Glaube macht uns zu einer Gemeinschaft, also zu einer Versammlung. Auch heute.

So ist nicht alles immer unsicher und grau. Ja, unsere Welt hat sich verändert, Sorge und Vorsicht scheinen die Oberhand zu haben im Moment. Aber nicht nur. Da sind doch auch so viele Lichtblicke: Rücksichtnahme, Freundlichkeit und gute Ideen. Das baut und auf. Auch heute.

Gebet:

Wir beten mit den Worten des Liedes 446 aus dem Evangelischen
Gesangbuch:

Wach auf, mein Herz und singe dem Schöpfer aller Dinge,
dem Geber aller Güter, dem frommen Menschenhüter.
Heut als die dunklen Schatten mich ganz umgeben hatten,
hat Satan mein begehret; Gott aber hat’s verwehret.
Du sprachst: „Mein Kind, nun liege, trotz dem, der dich betrüge;
Schlaf wohl, lass dir nicht grauen, du sollst die Sonne schauen.“
Dein Wort, das ist geschehen: Ich kann das Licht noch sehen,
von Not bin ich befreiet, dein Schutz hat mich erneuet.
So wollst du nun vollenden dein Werk an mir und senden,
der mich an diesem Tage auf seinen Händen trage.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 398, 1 – 2: In dir ist Freude

1) In dir ist Freude in allem Leide,
o du süßer Jesu Christ!
Durch dich wir haben himmlische Gaben,
du der wahre Heiland bist;
hilfest von Schanden, rettest von Banden.
Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet,
wird ewig bleiben. Halleluja.
Zu deiner Güte steht unser G’müte,
an dir wir kleben im Tod und Leben;
nichts kann uns scheiden. Halleluja.

2) Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden
Teufel, Welt, Sünd oder Tod;
du hast’s in Händen, kannst alles wenden,
wie nur heißen mag die Not.
Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren
mit hellem Schalle, freuen uns alle
zu dieser Stunde. Halleluja.
Wir jubilieren und triumphieren,
lieben und loben dein Macht dort droben
mit Herz und Munde. Halleluja.

Römerbrief 12, 12:

12 Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.

Diesen Satz schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom, in eine vermutlich schwierige Situation hinein. Es geht um den Zusammenhalt und das Zusammenleben in der Gemeinde. Wie passend, wie aktuell und gut auch auf das Zusammenleben in unserer Welt heute zu übertragen! Ich ändere aber die Reihenfolge:

Geduldig in Trübsal: Ja, darin üben wir uns jetzt schon gute 3 Wochen lang. Wir brauchen Geduld, wenn wir uns fragen, wie lange diese unsichere, gefährliche, zuweilen trübselige Situation noch anhalten wird. Wird es besser werden, oder noch schlimmer?? Wie lange wird das Geld reichen? Was wird aus unserem Ersparten? Wann dürfen wir wieder uneingeschränkt rausgehen? Wann können wir unsere Familien und Freunde wieder in die Arme nehmen, wann wieder ausgelassene Feste feiern, wann unsere Kirche wieder füllen? Diese Ungewissheit ist nicht leicht zu ertragen. Geduld ist manchmal ganz schön schwer, nicht nur für kleine Kinder. Aber, mir kommt vor, dass die uns aufgezwungene Geduld auch gute Seiten hat: Entschleunigung, eine neue Gemächlichkeit, wenn es z.B. in Warteschlangen von Menschen mit großem Abstand nur sehr langsam vorangeht, weil weniger Angestellte als sonst im Dienst sind. Ich bin erstaunt darüber, mit welcher Geduld die meisten das hinnehmen, man plaudert zuweilen sogar ein bisschen und alle sind sich einig: Das ist nötig jetzt. Und viele haben mehr Zeit. Sogar Autos fahren langsamer, kommt mir vor, ich werde auch von Kleinlastern und dicken Mercedes SUVs häufiger über die Straße gelassen als sonst, dabei hätte ich doch jetzt auch mehr Ruhe, zu warten.

Eine neue Art von Freundlichkeit. Menschen, die nicht fürchten, Corona könnte durch Blicke übertragen werden, lächeln sich verschwörerisch an, als wollten sie sagen: Ja, ich sehe dich. Wir müssen einander ausweichen und sehen einander doch mehr. Ein neues Miteinander nannte Bundespräsident van der Bellen das. „Wir sind stärker und enger miteinander verbunden, als uns das bewusst war,“ hat er gesagt. Ich finde, das stimmt.

Seid fröhlich in Hoffnung: das drückt diese neue Freundlichkeit aus. Unbekannte grüßen einander, auch in Favoriten haben Musiker ihre Fenster geöffnet. Und neben den vielen müden Witzen im Internet gibt es mitunter auch sehr geniale Cartoons: z.B. ein Mann auf dem Sofa, Beine ausgestreckt, mürrische Mundwinkel: „Früher bin ich einfach nur rumgesessen.“ Und noch einmal, derselbe Mann auf demselben Sofa, Beine ausgestreckt, jetzt lächelnde, zufriedene Mundwinkel: „Heute rette ich Leben.“ Früher bin ich einfach nur rumgesessen – heute rette ich Leben. Wunderbar! Das Leben hat wieder einen Sinn.

Und dann diese unendliche Fülle kreativer Ideen, die vom Himmel zu fallen scheinen: Modefirmen stellen um auf Masken Nähen, und Videoanleitungen dazu füllen das Internet. Menschen tragen stolz in Öffentlichkeit den noch nicht ganz so gelungenen Prototyp ihrer Nähkünste.

Desinfektionsmittel aus Schnaps, was für ein grandioser Einfall. Wir, z.B. hätten da zu Hause unzählige Flaschen ungenießbaren Fusels, die wir gerne hergeben könnten! Es muss ja gar nicht immer so kompliziert sein!

Beatmungsgeräte aus Tauchermasken, völkerverbindende Hilfslieferungen, Produzenten von Arztserien im Fernsehen spenden ihre vollen Lager an medizinischen Mundschutzen.

Not macht erfinderisch im wahrsten Sinne des Wortes! Ein Tiroler Musiklehrer hat seine 77 Chorkinder auf ihre Handys singen lassen und das Ganze in tagelanger Kleinarbeit zu einen „Chor-ona“ Chor zusammengeschnitten. Die Polizei beschallt uns mit „I am from Austria“, Lehrende eines Wiener Gymnasiums senden allen Schülerinnen und Schüler eine Videobotschaft, in der jede Person ein Plakat mit einem bestimmten Wort hochhält. Die Botschaft: ihr macht das ganz toll, wir sind stolz auf euch.

All diese wunderbaren Ideen berühren mich sehr, sie begeistern und beleben mich. (Und vielleicht möchtet Ihr in unserer Online Bassena noch von mehr gelungenen Beispielen erzählen.) Es ist doch gar nicht so schwer! Geduld, Freundlichkeit und Kreativität – wie könnten wir besser Gottes Ebenbild sein!

Und dann noch: beharrlich im Gebet. Auch das gefällt mir. Beten, damit wir nicht glauben, alles alleine schaffen zu können, oder zu müssen. Wir können und müssen um Hilfe bitten, um Freundlichkeit, Geduld, Ideen und Kraft. Wir sollen nicht aufhören, uns zu verbinden mit der Quelle des Lebens, die uns miteinander verbindet. Beharrlich sein im Beten und Gottes Beistand und Schutz einfordern. Hartnäckig. Und der Phantasie Raum geben.

Ein neues Miteinander, das zu lernen, das erleben wir jetzt. Und das bleibt uns, auch für später, vielleicht als Erinnerung, auf jeden Fall aber als Erfahrung: „Dass wir jetzt besser schätzen können, wie wichtig wir füreinander sind.“ (Wieder ein Zitat von Bundespräsident van der Bellen.)

Heute ist Palmsonntag. Aber heute ziehen wir weder als Anhänger Jesu mit ihm in Jerusalem ein. Noch jubeln wir mit den Menschen am Straßenrand einem vermeintlichen König zu. Heute fragen wir uns, auf welchem Weg wir selbst sind, mit Gott und zu Gott unterwegs und zueinander, trotz Abstand. Und wir tun das, was uns der auf dem Weg nach Jerusalem selbst gezeigt hat: Wir tun, was nötig ist, füreinander und miteinander, geduldig, hoffnungsvoll, betend.

Amen.

Gebet: Guter Gott!

du bist da, in dieser Zeit der Verunsicherung und Ungewissheit.
Du bist unser fester Bodenunter den Füßen.
Du gibst uns Geduld, wenn uns Trübsal umschleicht.
Bei dir können wir Hoffnung schöpfen und wieder fröhlich werden
Du verbindest uns, auch wenn wir Abstand halten,
du lässt uns einander sehen
und die Verbundenheit aller Menschen neu spüren.
Wir bitten dich, dass uns das bleibt, dies Miteinander und die Achtsamkeit aufeinander, Und die Dankbarkeit für das, was andere für uns tun,
wenn wir und alle versuchen, den Alltag zu bewältigen.
Für all diese Menschen bitten wir:
um Kraft, um Zuversicht, um Phantasie.
Wie für uns selbst.
In der Stille nennen wir dir die Menschen,
die uns besonders am Herzen liegen in diesen Tagen …

… und beten.

Unser Vater im Himmel …

Segen:

Gott sei vor uns, um uns den Weg zu zeigen,
und neben uns, um uns zu schützen.
Gott sei hinter uns, um uns zu bewahren,
und unter uns, um uns aufzufangen.
Gott sei in uns, um uns zu trösten,
und um uns herum, um uns zu beleben
durch seinen Geist der Geduld und der Zuversicht.
So segnet uns der gütige Gott,
der Vater, der Sohn und der Heilige Geist,
Amen.

Musik:

Evangelisches Gesangbuch 643, 1-3: Wo ein Mensch Vertrauen gibt (T: Hans-Jürgen Netz, M: Fritz Baltruweit) – gesungen von der Gemeinde in der Erlöserkirche unter Leitung und Begleitung von Martin Seidl.