Andacht aus der reformierten Erlöserkirche, Wien-Favoriten, 3. Mai 2020
mit Pfr. Johannes Wittich


Orgelvorspiel
2. Korinther 5, 17: 

Wenn also jemand in Christus ist, dann ist das neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.

Begrüßung:

Für diese heutige Andacht habe ich mir etwas Besonderes vorgenommen: Ich möchte in ihr vollständig auf Wörter wie „Corona“ oder „Krise“ oder gar „Coronakrise“ verzichten. Einfach einmal wieder „ganz normal“ Gottesdienst feiern. Nachdenken über ein allgemeines, nicht unbedingt gerade aktuelles, aber deswegen nicht weniger wichtiges Thema. Ich versuche es einmal ….

„Alles neu, macht der Mai …“, heißt es in einem Volkslied. Alles neu ist für den, der „in Christus ist“, meint der Apostel Paulus. Als Christ oder Christin sind wir Teil einer neuen Schöpfung. Können Altes, Beschwerliches, Bedrückendes hinter uns lassen. Neu werden. Ganz besonders, wenn wir durch Gottes Geist verbunden sind, wenn wir feiern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Gebet: Guter Gott!

Manchmal packen uns Unruhe und Zweifel.
Wird uns alles zu viel.
Dann brauchen wir das neu Werden, das du uns versprichst.
Das neu Werden, das mit Jesus Christus schon da ist.

Manchmal fühlen wir uns aber auch eins mit unserem Leben,
sind zufrieden und glücklich,
und möchten dir von Herzen danken.

Hilf uns loszulassen, was das Leben schwer macht.
Hilf uns darauf vertrauen, dass wir getragen, behütet und beschützt sind.
Öffne uns für dich:
Dass wir deine Nähe und Liebe spüren.
Sehen, wie sehr du uns segnest.
Und gibt uns deinen Geist,
um dem Einengenden und Angst Machenden entgegenzutreten.
Segne uns jetzt,
wenn wir mit dir feiern,
auf dich hören,
dich in unserer Mitte wissen.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 501, 1-4: Wie lieblich ist der Maien

1) Wie lieblich ist der Maien
aus lauter Gottesgüt,
des sich die Menschen freuen,
weil alles grünt und blüht.
Die Tier sieht man jetzt springen
mit Lust auf grüner Weid,
die Vöglein hört man singen,
die loben Gott mit Freud.

2) Herr, dir sei Lob und Ehre
für solche Gaben dein!
Die Blüt zur Frucht vermehre,
lass sie ersprießlich sein.
Es steht in deinen Händen,
dein Macht und Güt ist groß;
drum wollst du von uns wenden
Mehltau, Frost, Reif und Schloss’.

3) Herr, lass die Sonne blicken
ins finstre Herze mein,
damit sich’s möge schicken,
fröhlich im Geist zu sein,
die größte Lust zu haben
allein an deinem Wort,
das mich im Kreuz kann laben
und weist des Himmels Pfort.

4 Mein Arbeit hilf vollbringen
zu Lob dem Namen dein
und lass mir wohl gelingen,
im Geist fruchtbar zu sein;
die Blümlein lass aufgehen
von Tugend mancherlei,
damit ich mög bestehen
und nicht verwerflich sei.

5. Mose 11, 8-15: Eine Rede des Mose an sein Volk:

8 So haltet denn das ganze Gebot, das ich euch heute gebe, damit ihr stark seid und in das Land kommt und es in Besitz nehmt, in das ihr ziehen werdet, um es in Besitz zu nehmen,
9 und damit ihr lange lebt auf dem Boden, den er ihnen und ihren Nachkommen zu geben euren Vorfahren geschworen hat, ein Land, in dem Milch und Honig fliessen.
10 Denn das Land, in das du kommst, um es in Besitz zu nehmen, ist nicht wie das Land Ägypten, aus dem ihr ausgezogen seid: Wenn du deinen Samen gesät hattest, musstest du es mühsam bewässern wie einen Gemüsegarten.
11 Und das Land, in das ihr zieht, um es in Besitz zu nehmen, ist ein Land mit Bergen und Tälern, das vom Regen des Himmels mit Wasser getränkt wird,
12 ein Land, auf das der HERR, dein Gott, beständig acht gibt, auf dem die Augen des HERRN, deines Gottes, ruhen, vom Anfang des Jahres bis zum Ende des Jahres.
13 Wenn ihr nun auf meine Gebote hört, die ich euch heute gebe, und den HERRN, euren Gott, liebt und ihm von ganzem Herzen und von ganzer Seele dient,
14 dann werde ich eurem Land Regen geben zu seiner Zeit, Herbstregen und Frühjahrsregen, und du wirst dein Korn, deinen Wein und dein Öl einbringen,
15 und ich werde deinem Vieh auf deinem Feld Gras geben, und du wirst dich satt essen können.

Der Mai hat begonnen, wie schön! Der so genannte „Wonnemonat“. „Wie lieblich ist der Maien“, hat es auch im gerade gesungenen Lied geheißen. Der Lieddichter Martin Behm beschreibt, wie alles grünt und blüht, die Tiere sich wieder zeigen und die Vögel zwitschern.

Die Schönheit des Mais hat auch ein anderer Mann besungen, von dem man das so erst einmal gar nicht erwarten würde: Victor Adler, Begründer der Österreichischen Sozialdemokratie. Der meinte in einem Artikel in der „Arbeiter-Zeitung“ im Jahr 1890: “Er ist sehr schön, der 1. Mai, und die Tausenden von Bourgeois und Kleinbürgern werden es den Hunderttausenden von Proletariern gewiss gerne vergönnen, sich auch einmal das berühmte Erwachen der Natur, das alle Dichter preisen und wovon der Fabrikszwängling so wenig bemerkt, in der Nähe zu besehen.”

Gewiss, Victor Adler meinte zunächst einmal den 1. Mai, den Tag der Arbeit, den Tag der Rechte für Arbeiterinnen und Arbeiter. Aber ich finde es schon spannend, wie er den Bogen spannt von der erwachenden Natur Anfang Mai zu eben diesen Rechten. Was nützt die Schönheit der Natur, wenn Menschen sie erst gar nicht sehen können? Weggesperrt sind von ihr, in ein monotones „Werkl“ von krank machender Arbeit gezwängt, in dem es keine Jahreszeiten gibt, sondern tagein, tagaus immer nur das dumpfe, finstere Gleiche.

Victor Adler ging es um das Recht eines arbeitsfreien 1. Mai – heute eine Selbstverständlichkeit. Ihm ging es um menschliche Arbeitsbedingungen, soziale Absicherung, medizinische Versorgung, Recht auf Bildung. Alles heute erreicht in unserem Land – wir können nur dankbar dafür sein.

Trotzdem: das „Hamsterradl“, in dem wir nichts mehr von der Schönheit um uns herum, von der Schönheit der Natur mitbekommen, gibt es heute auch noch. Den Tunnelblick, der uns nur das anscheinend so unbedingt Notwenige sehen lässt. Alles andere darum herum vergessen und verdrängen wir.

Dabei gehört viel mehr zum Leben, als wir oft wahrhaben wollen. Daran erinnert auch die Rede des Mose, die wir gerade gehört haben. Das gelobte Land für sein Volk, die Israeliten, vor Augen, will er noch einmal klarstellen, worum es bei diesem Land geht. Um ein Land, um das sich Gott persönlich kümmert. Früher, im trockenen und dürren Ägypten, da musste man nach der Aussaat regelmäßig und aufwändig die Felder wässern, damit es dann auch einmal eine Ernte geben würde. In Kanaan würde es aber ganz anders sein. Da wird Gott für Regen sorgen, für den Wechsel der Jahreszeiten, selbst, höchstpersönlich, zum Wohl seiner Menschen.

Besser kann es nicht sein, als in einem Land zu leben, in dem umfassend und gut für jeden und jede gesorgt wird. Wir können das nachvollziehen. Aber auch schon zur Zeit des Mose war eines klar. Selbstverständlich ist das nicht. Es ist eine Gnade und ein Segen. Und eine Aufgabe. Gottes Gebote sollen ernst genommen und gehalten werden.

Denn: was nützt ein fruchtbares, gesegnetes Land, wenn nicht Alle etwas davon haben? Wenn die Erträge ungleich verteilt werden, manche vielleicht überhaupt nichts abkriegen? Wie es auch Victor Adler gemeint hat: was nützt ein strahlender Maitag, wenn manche davon nichts davon merken?

Der Schlüssel zum Glück für Alle ist für Mose ganz eindeutig: die Gebote Gottes. Die sind einzuhalten. Denn worum geht es in ihnen: darum, dass Schwache geschützt, Bedürftige versorgt, Gefallene aufgerichtet werden. Die Liebe zu Gott ist von der Liebe zum Mitmenschen nicht zu trennen. Diesen hat dann auch Jesus wieder aufgenommen und zum zentralen Punkt seiner Botschaft gemacht: Du sollst Gott von ganzem Herzen lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.

Wo das gelingt, entsteht wirklich Neues. Neues und Gutes.

Amen.

Gebet: 

Gott,
zu dir beten wir.
Unsere Sorgen nimm auf,
und verwandle sie in Hoffnung und Mut.

Wir bitten dich für alle,
die sich verloren fühlen.
Lass sie Freundschaft und Zuwendung erfahren.

Wir bitten dich für die Zurückgesetzten und Missachteten,
dass sie ihr Recht bekommen.

Wir bitten dich für die Enttäuschten,
dass sie Vertrauen finden und neue Kräfte.

Wir bitten dich für unsere Kranken,
um Heilung und Trost.

Wir bitten dich für Trauernde und Sterbende,
dass die Kraft der Auferstehung mit ihnen ist.

Und gemeinsam beten wir:

Unser Vater im Himmel …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden.
Amen.

Orgelnachspiel: Nicolas-Antoine Lebègue (1631-1702): Symphonie in B, gespielt von
Martin Seidl