Predig am 21. September 2025 in der Erlöserkirche

 

-Freitöne 82 (EG 272), 1-3

„Tut Gutes und leiht, wo ihr nichts zurückerhofft.“ (Lk 6,35) Unser Reformator Johannes Calvin zog aus diesem Wort Jesu den Schluss, dass wir den Armen helfen sollen, wo unser Geld mit Risiko angelegt ist. Heute scheinen die meisten Menschen, wenn sie Geld anlegen, nur auf hohe Zinsen für sich selbst zu schauen, ohne negative Auswirkungen von Geldanlagen auf Mitmenschen und die Schöpfung zu bedenken. Die auf Initiative von Martin Luther King und anderen im Weltkirchenrat gegründete gemeinnützige Genossenschaft Oikocredit produziert dagegen hohen sozialen Gewinn (und hat auch die ökologischen Auswirkungen im Blick), weil sie darauf besteht, dass Kredite an Arme in Lateinamerika, Afrika und Asien an begleitende Schulung und Beratung geknüpft sind. Dadurch gibt es auch fast keine Probleme bei den Kreditrückzahlungen und somit hat seit Bestehen von Oikocredit, also seit 50 Jahren, noch niemand Geld durch Oikocredit verloren. Hoher sozialer Gewinn bedeutet, dass Oikocredit nicht nur in Menschen, die sich und ihre Familien damit vor Armut schützen, investiert, sondern gemäß der neuen Strategie seit 2022 auch in Wohnen, Bildung, Gesundheit sowie Trinkwasser und Sanitäranlagen und damit in die Widerstandsfähigkeit des lokalen Umfelds vor Ort. Investition in erneuerbare Energien wird schon länger praktiziert, wodurch CO2-Emissionen, Entwaldung und häusliche Luftverschmutzung reduziert werden. Oikocredit ist zu einem Erfolgsmodell geworden. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums feiern wir heute den Oikocredit-Sonntag, der in mach anderen Kirchen jedes Jahr gefeiert wird.

Wir feiern Gottesdienst im Namen Gottes, der gerecht und gütig ist,
im Namen Jesu Christi, der Brot des Lebens für uns alle ist,
im Namen der Heiligen Geistkraft, die uns beflügelt durch Kraft, Mut und Fantasie.

-Lasst uns beten:

Gott, wie oft setzte ich mich unter Druck – baue Angst auf – Unsicherheiten …
ertappe mich dabei zu meinen etwas wichtiges zu verpassen …

Dabei bist Du in Deiner Liebe immer da, gibst immerzu Raum, lädst ein, vertraust mir.

Selbst wenn ich mich nicht klar entscheide, Fehler wiederhole oder mich und andere verletze, liebst Du mich.

Geduldig, offen und bedingungslos ist die Kraft Deiner Liebe stärker als alles, was ich mir ausdenken und befürchten kann. Lass mir das immer wieder und immer stärker bewusst werden, so dass ich mich von Dir und Deiner Liebe verwandeln und leiten lasse. Amen.

-Lesung Lk 19, 11-27:

11Als sie nun zuhörten, sagte er ein weiteres Gleichnis; denn er war nahe bei Jerusalem und sie meinten, das Reich Gottes werde sogleich offenbar werden. 12Und er sprach: Ein Mann von edler Herkunft zog in ein fernes Land, um ein Königtum zu erlangen und dann zurückzukommen. 13Der ließ zehn seiner Knechte rufen und gab ihnen zehn Pfund und sprach zu ihnen: Handelt damit, bis ich wiederkomme! 14Seine Bürger aber waren ihm feind und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm her und ließen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche.

15Und es begab sich, als er wiederkam, nachdem er das Königtum erlangt hatte, da ließ er die Knechte zu sich rufen, denen er das Geld gegeben hatte, um zu erfahren, was sie erhandelt hätten. 16Da trat der erste herzu und sprach: Herr, dein Pfund hat zehn Pfund eingebracht. 17Und er sprach zu ihm: Recht so, du guter Knecht; weil du im Geringsten treu gewesen bist, sollst du Macht haben über zehn Städte.

18Der zweite kam auch und sprach: Herr, dein Pfund hat fünf Pfund erbracht. 19Zu dem sprach er auch: Und du sollst über fünf Städte sein.
20Und der dritte kam und sprach: Herr, siehe da, hier ist dein Pfund, das ich in einem Tuch verwahrt habe; 21denn ich fürchtete mich vor dir, weil du ein harter Mann bist; du nimmst, was du nicht angelegt hast, und erntest, was du nicht gesät hast. 22Er sprach zu ihm: Mit deinen eigenen Worten richte ich dich, du böser Knecht. Wusstest du, dass ich ein harter Mann bin, nehme, was ich nicht angelegt habe, und ernte, was ich nicht gesät habe, 23warum hast du dann mein Geld nicht zur Bank gebracht? Und wenn ich zurückgekommen wäre, hätte ich’s mit Zinsen eingefordert. 24Und er sprach zu denen, die dabeistanden: Nehmt das Pfund von ihm und gebt’s dem, der zehn Pfund hat. 25Und sie sprachen zu ihm: Herr, er hat doch schon zehn Pfund. 26Ich sage euch aber: Wer da hat, dem wird gegeben werden; von dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat. 27Doch diese meine Feinde, die nicht wollten, dass ich über sie herrsche, bringt her und macht sie vor mir nieder.

-Glaubensbekenntnis der ökumenischen Versammlung von Seoul 1990 – dem Jahr in dem der österreichische Förderkreis Oikocredit Austria gegründet wurde:

Ich glaube an Gott, der die Liebe ist

und der die Erde allen Menschen geschenkt hat.

Ich glaube nicht an das Recht des Stärkeren,

an die Stärke der Waffen,

an die Macht der Unterdrückung.

Ich glaube an Jesus Christus,

der gekommen ist, uns zu heilen,

und der uns aus allen tödlichen Abhängigkeiten befreit. Ich glaube nicht, dass Kriege unvermeidbar sind,
dass Friede unerreichbar ist.

Ich glaube nicht, dass Leiden umsonst sein muss,

dass der Tod das Ende ist,

dass Gott die Zerstörung der Erde gewollt hat.

Ich glaube, dass Gott für die Welt eine Ordnung will, die auf Gerechtigkeit und Liebe gründet,

und dass alle Männer und Frauen

gleichberechtigte Menschen sind.

Ich glaube an Gottes Verheißung

eines neuen Himmels und einer neuen Erde,

wo Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.

Ich glaube an die Schönheit des Einfachen,

an die Liebe mit offenen Händen,

an den Frieden auf Erden.

Amen.

-EG 428, 1-2,5

-Kanzelgruß: Gnade sei mit Euch von Jesus Christus, der da war, der da ist und der da kommt. Amen.

-Jes 65, 17-25 (Übersetzung Martin Buber und Franz Rosenzweig)

Denn, wohlan, ich schaffe den Himmel neu, die Erde neu, nicht gedacht wird mehr des Frühern, nicht steigts im Herzen mehr auf,

sondern entzückt euch, jubelt fort und fort, drob was ich schaffe! Denn, wohlan, ich schaffe aus Jerusalem einen Jubel, aus seinem Volk ein Entzücken,

ich juble über Jerusalem, ich entzücke mich an meinem Volk. Nicht hört man mehr darin Stimme des Weinens, Stimme des Geschreis.

Nicht soll dorther mehr einer sein, zart an Tagen und doch gealtert, der seine Tage nicht vollendet; denn als jugendlich wird der Hundertjährige sterben, und der Sünder wird verwünscht, nur ein Hundertjähriger zu werden.

Sie bauen Häuser und siedeln, pflanzen Reben, essen ihre Frucht:

sie bauen nicht, daß ein anderer siedle, pflanzen nicht, daß ein anderer esse. Denn wie die Tage des Baums sind die Tage meines Volks nun, was das Tun ihrer Hände erbringt, sollen meine Erwählten verbrauchen.

Sie sollen nicht ins Leere sich mühen, nicht zu Bestürzung gebären, denn SEINER Gesegneten Same sind sie und ihre Nachfahrn mit ihnen.

Geschehen wirds: eh sie rufen, antworte ich, sie reden noch, und ich erhöre.

Wolf und Lamm weiden wie eins, der Löwe frißt Häcksel wie das Rind, und die Schlange, Staub ist nun ihr Brot: nicht übt man mehr Böses, nicht wirkt man Verderb auf all dem Berg meines Heiligtums, hat ER gesprochen.

-Predigt:

Liebe Gemeinde,

Mit Recht können wir stolz sein auf das 50-jährige Jubiläum von Oikocredit, aber ungetrübt ist die Festfreude nicht. Der kleinen engagierten Zahl ist schmerzlich bewusst, dass der Bedarf nach solidarischer Wirtschaft gigantisch ist, während den meisten Christinnen und Christen Oikocredit kein Begriff ist. Für uns alle stellt sich die Frage: wie kommt denn das Reich Gottes zu uns?

Der Evangelist Lukas erzählt uns, dass das Reich Gottes nicht so kommt, wie sich das die Zuhörer*innen Jesu kurz vor Jesu Einzug in Jerusalem erwartet haben. Es kommt nicht so, wie die Macht der Geldgewinnwirtschaft, die die Menschen damals und wir heute nur zu gut kennen, sich durchsetzt. Jesus führt das seinen Zuhörer*innen an einem damals aktuellen Beispiel des Sohnes von König Herodes deutlich vor Augen. So kommt es nicht, nicht mit Rücksichtslosigkeit, Ausbeutung, Selbstgefälligkeit und Mord. Der dritte Knecht in Jesu Gleichnis berührt das Geld seines Vorgesetzten, das er in einem Tuch aufbewahrt hat, nicht einmal. Er widerspricht der Herrschaft der Geldgewinnwirtschaft, weil sie der Herrschaft Gottes widerspricht. Und er ist bereit, vom System der Geldgewinnwirtschaft verurteilt zu werden, wie auch Jesus keine Woche nach seinem Einzug in Jerusalem verurteilt wurde. Die Macht des Reiches Gottes speist sich aus der Macht, auf gewalttätige Macht verzichten zu können.

Jesus predigt damit keinen Masochismus, sondern innere Freiheit, die Machtspiele durchbrechen und Raum für das Wirken des Reiches Gottes und seiner lebensschaffenden Energie schaffen kann. Wir müssen unseren Schmerz über den Zustand der Welt annehmen und mutig aussprechen, so wie der dritte Knecht es tut. Erst dann kann dieser Schmerz zu Hoffnung und Heilung verwandelt werden.

Junge, engagierte Kirchenmitglieder demonstrierten bei der Vollversammlung des Weltkirchenrats 1968 im schwedischen Uppsala unter dem Motto „Siehe, ich mach alles neu“ vor den Türen der Konferenz. Sie forderten mehr Engagement der Kirchen für eine positive Entwicklung in der Welt. Sie fanden es zu wenig, Menschen mit Nahrungsmittelspenden zu unterstützen. Es war die Zeit der Apartheid-Politik in Südafrika – und südafrikanische Staatsanleihen wurden hoch verzinst. Und es war die Zeit des Vietnamkriegs, in der die Rüstungsindustrie brummte. Damit waren für die jungen Leute solche Banken, die wesentlich Apartheid, Rüstung und unfairen Handel finanzierten, nicht mehr vertretbar. Sie hatten eine Vision: Kirchliche Rücklagen sollten etwas Gutes bewirken und weltweit soziale Gerechtigkeit und Frieden fördern. Die Lösung: ein ethisches Instrument der Geldanlage, das Kredite an Unternehmen vergibt, die wirtschaftlich benachteiligte Menschen unterstützen. Dies wurde sieben Jahre später Wirklichkeit – mit der Gründung der ökumenischen Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit im Jahr 1975.

Ursprünglich konnten laut Satzung nur Kirchen, Bistümer und Klöster Mitglied bei der internationalen Genossenschaft werden und Geld anlegen. Doch diese waren trotz erfolgter Gründung der Genossenschaft beim Geldanlegen plötzlich zurückhaltend. Viele Privatpersonen hingegen waren sofort bereit, einen Teil ihres Geldes ethisch anzulegen. Zahlreiche Kirchenmitglieder in ganz Europa glaubten an das Konzept der nachhaltigen Geldanlage und gründeten daraufhin sogenannte Oikocredit-Förderkreise – so auch in Österreich im Jahr 1990. Heute investieren etwa 46.000 Anleger*innen, hauptsächlich Privatpersonen mit einem Anteil ab 200 Euro, insgesamt etwa 1 Milliarde Euro bei Oikocredit.

Was sogar Kirchenleitungen als utopisch abtaten, ist Wirklichkeit geworden. Schon Jesaja sprach mit Zuversicht aus, was undenkbar war. Denn Jesaja und Jesus ist klar, dass hinter der Wirklichkeit in der wir leben, welche von menschlichen Mächten überformt ist, die Wirklichkeit wartet, wie sie von Gott vorgesehen ist. Auch uns darf das klar sein und auch wir dürfen daraus Kraft schöpfen.

Viele Menschen sind der Meinung, dass armutsgefährdeten Menschen weltweit am besten vor Ort geholfen werden sollte. Oikocredit ist eine ausgezeichnete, nachhaltige Möglichkeit diese Meinung in die Tat umzusetzen – und umso notwendiger, wenn Regierungen derzeit bei Entwicklungshilfe sparen. Es braucht aber dazu die Bereitschaft zum Verzicht auf finanziellen Gewinn, wie Jesus uns klar machen wollte. Finanzieller Gewinn ist eine menschliche Leidenschaft, die zu einer Unkultur geworden ist. Das Reich Gottes kann nur wachsen, wenn sozial-ökologischer Gewinn die Leitkultur des Wirtschaftens ist.

Menschen, die sich und ihre Familie mit Hilfe von Oikocredit vor Armut schützen können, strahlen eine tiefe Freude aus. Denn sie erleben die Wirklichkeit Gottes, wie Jesaja sie beschrieben hat: nicht mehr für den Gewinn von Reichen schuften zu müssen, sondern als Geschäftspartner*innen auf Augenhöhe die Früchte der eigenen Arbeit genießen zu können. Auch wir dürfen Teil dieser Wirklichkeit sein und uns daran erfreuen.
Amen.

-EG 262, 1-7

-Lasst uns beten:

Gott, danke, dass Du unsere Welt so geschaffen hast, dass es genug für alle gibt; danke, dass Dein Wort uns über die Jahrtausende inspiriert; danke, dass Dein Geist wirkt, indem es konkrete, Hoffnung gebende Beispiele wie Oikocredit gibt, die uns vor Augen führen, zu wieviel ungeahnter positiver Wirkung einfache Menschen fähig sind.

Gott, schenke uns die Kraft, den Schmerz der Ausgebeuteten in Deiner Schöpfung wahrzunehmen und auch unseren eigenen Schmerz zu spüren, den Schmerz über unsere Ängstlichkeit und Schlaffheit, durch die wir unser Potential, die Stärke, die Du in uns gelegt hast, nicht leben.

Gott, schenke uns bewusste Aufmerksamkeit im Umgang mit unserem Geld, damit es bewirkt, dass wir glaubwürdig mitwirken an Deinem Reich.

Gott, schenke uns die Vision unserer Welt, wie deine Liebe sie gestalten würde: Eine Welt, in der die Schwachen beschützt statt ausgebeutet werden. Eine Welt, in der die Gaben und Reichtümer der Erde geschützt und miteinander geteilt werden, und in der jeder und jede sich an ihnen erfreuen kann. Eine Welt, in der Friede auf Gerechtigkeit aufbaut und Liebe die Gerechtigkeit formt. Schenke uns den Mut und die Fantasie, daran mitzuwirken, diese Welt zu schaffen durch Jesus Christus, unseren Herrn.

Gott, es gibt so vieles was uns beschäftigt. Alles wofür wir noch keine Worte haben, fassen wir nun in das Gebet, dass uns Jesus gelehrt hat:

Unser Vater im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen

-EG 199, 1-5

-Abkündigungen

-Stellen wir uns unter den Segen Gottes:

Gott segne dich und behüte dich,
Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
Gott hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

-EG 395, 1-3

 

Robert Colditz