Den Karfreitag auf dem Altar der Wirtschaft geopfert

Die österreichische Regierung stuft den Karfreitag zum “persönlichen Feiertag” herab

In Österreich müssen sich Menschen, die am Karfreitagvormittag in den Gottesdienst gehen wollen, künftig Urlaub nehmen. Wie es dazu kam – und wie das Ganze eingeordnet und bewertet werden kann -, schreibt Prof. Ulrich H. J. Körtner in seinem Gastbeitrag.

Niemandem solle etwas weggenommen werden, versicherte Kanzleramtsminister Gernot Blümel noch im Januar. Doch am Ende wurde die österreichische Regierung wortbrüchig und verkündete am 26. Februar 2019, künftig sei der Karfreitag in Österreich nur noch ein “persönlicher Feiertag”, für den man sich Urlaub nehmen muss. Bisher war der Karfreitag ein gesetzlicher Feiertag für alle Protestanten – Lutheraner, Reformiert und Methodisten – sowie für die Altkatholiken. Damit ist es nun vorbei. Der Aufschrei der evangelischen Kirchen verhallte ungehört. Schließlich seien, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz kaltschnäuzig und ohne jede Rücksicht auf die leidvolle Geschichte der Protestanten in Österreich erklärte, 96 Prozent der Österreicher von der neuen Karfreitagsregelung nicht betroffen. Nur einen Tag später, am 27. Februar, peitschte die Regierung ihre Gesetzänderung zum Karfreitag durch den Nationalrat.

Doch der Reihe nach. In der österreichischen Kultur spielt der Karfreitag traditionell keine besondere Rolle. Marienfeiertage sind im katholisch geprägten Österreich weit wichtiger. Im Wallfahrtsort Mariazell, wo Österreich am katholischsten ist, wird Maria in barockem Pomp als “Magna Mater Austriae” verehrt. Dabei ist der Karfreitag keineswegs nur in evangelisch geprägten Ländern, sondern selbst in mehrheitlich katholischen Ländern wie Portugal, Spanien und Malta für alle ein gesetzlich anerkannter Feiertag. Nicht so jedoch in Italien und eben auch nicht in Österreich.

1955 wurde der Karfreitag zum staatlichen Feiertag für Österreichs Protestanten. Zu verdanken war dies einer Initiative der sozialistischen Nationalratsabgeordneten Bruno Pittermann, später langjähriger SPÖ-Vorsitzender und Vizekanzler, und Karl Spielbüchler. Beide waren evangelisch. Die von ihnen erstrittene Karfreitagsregelung stand in Verbindung mit der zeitgleichen Einführung des 8. Dezember (Mariä Empfängnis) als gesetzlichem Feiertag. Gedacht war dies als Geste der Anerkennung für die Minderheitskirche, deren staatskirchenrechtliche Neuregelung noch ausstand. Diese erfolgte erst durch das Protestantengesetz von 1961. Auch im Generalkollektivvertrag wurde der Karfreitag für Protestanten und Altkatholiken als arbeitsfreier Tag festgeschrieben. Ob der nun vom Parlament beschlossene Eingriff in diesen Vertrag arbeits- und verfassungsrechtlich zulässig ist, wird von Rechtsexperten unterschiedlich beurteilt.

Diskriminierungsfrei wäre ein zusätzlicher Feiertag für alle gewesen

2015 klagte ein konfessionsloser Mitarbeiter einer Privatdetektei dagegen, dass er im Unterschied zu evangelischen Arbeitnehmern, die am Karfreitag arbeiten, keinen Feiertagszuschlag erhalten habe. Das Verfahren gelangte schließlich an den Obersten Gerichtshof, der wiederum 2017 die Frage, ob es sich im konkreten Fall um eine unzulässige Diskriminierung aus religiösen Gründen handele, an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung weiterleitete. Dieser entschied im Januar 2019, die geltende Karfreitagsregelung in Österreich sei gleichheitswidrig.

Nun war der Gesetzgeber gefordert, eine Lösung zu finden, die einerseits diskriminierungsfrei ist und andererseits den religiösen Rechten seiner Bürger, aber auch der Religionsgemeinschaften und insbesondere von religiösen Minderheiten, gerecht wird. Anfangs wurden elf verschiedene Lösungsvarianten diskutiert. Diskriminierungsfrei hätte man etwa einen zusätzlichen Feiertag für alle einführen können. Um der heutigen religiösen Vielfalt Rechnung zu tragen, hätte dieser für Protestanten und Altkatholiken der Karfreitag bleiben, für Juden der – bisher schon kollektivvertraglich garantierte – Jom Kippur und für Muslime etwa das Opferfest sein können. Doch lehnten die Wirtschaftsverbände und die Regierung einen zusätzlichen Feiertag in jedweder Form von Anfang an ab.

Eine Alternative hätte im Abtausch des Karfreitags gegen einen der bestehenden kirchlichen Feiertage bestanden, wobei nur ein solcher in Frage gekommen wäre, der nicht im Konkordat mit dem Heiligen Stuhl festgeschrieben ist. Es bot sich der Pfingstmontag an. Für diese Lösung haben sich auch namhafte katholische Theologen und Amtsträger ausgesprochen. Zwar beteuerte der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Schönborn, anfangs die ökumenische Solidarität seiner Kirche, doch am Ende ließ man die evangelischen Kirchen im Regen stehen. Die Ökumene hat dadurch in Österreich Schaden genommen.

Zuletzt standen nur noch zwei Optionen im Raum, nämlich entweder ein halber Feiertag für alle ab 14 Uhr oder ein “persönlicher Feiertrag” aus dem bestehenden Urlaubskontingent. Die erstgenannte Lösung kam für die evangelischen Kirchen jedoch nicht in Frage, weil sie es unmöglich gemacht hätte, am Karfreitagvormittag Gottesdienst zu feiern, zumal es in den evangelischen Gemeinden auch ehrenamtliche Lektoren gibt, die berufstätig sind. Der halbe Feiertag hätte also einen massiven Eingriff in die religiösen Belange der betroffenen Kirchen dargestellt.

Keine Beteiligung der evangelischen Kirchen

Bis zum 25. Februar 2019 waren die evangelischen Kirchen praktisch gar nicht in die Verhandlungen eingebunden, von den Altkatholiken ganz zu schweigen. Auch im Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof hatten die protestantischen Kirchen vergeblich versucht, als betroffene Partei beteiligt zu werden. Erst unmittelbar vor der Entscheidung im Nationalrat wurde Michael Bünker, Bischof der lutherischen Kirche und zugleich Vorsitzender des Oberkirchenrates der Evangelischen Kirchen A.B. und H.B., zu vertraulichen Gesprächen gebeten. Sie standen unter keinem guten Stern, weil die Regierung es ablehnte, geordnet – und nicht unter dem großen Zeitdruck, der absichtlich aufgebaut wurde – zu verhandeln. Zwar ist es Bünker gelungen, den halben Feiertag wegzuverhandeln, doch um den Preis, dass der Karfreitag als regulärer Feiertag der Protestanten praktisch abgeschafft worden ist.

Arbeitsrechtlich herrscht nun eine große Unübersichtlichkeit. Beispielsweise gilt für Beamte weiter die Regelung, am Karfreitag ab 12 Uhr freizubekommen. Manche Kommunen haben inzwischen entschieden, ihren Arbeitnehmern generell am Karfreitag freizugeben. Das wiederum stößt bei manchen als Verschwendung von Steuermitteln auf öffentliche Kritik.

Entgegen anfänglicher anderslautender Meldungen von seiten der Regierung haben Bünker und die evangelischen Kirchen der Regelung mit dem “persönlichen Feiertag” nicht zugestimmt. Sie prüfen vielmehr rechtliche Schritte dagegen. Außerdem hat die Synode der Evangelischen Kirche A.B. eine Resolution verabschiedet, in der für die evangelischen Kirchen Verbesserungen ihrer rechtlichen Stellung gefordert werden.

Im Einzelhandel ist der Karfreitag besonders verkaufsstark

Die Wirtschaftsverbände zeigen sich hingegen zufrieden. Obwohl die Jahresarbeitszeit in Österreich über dem europäischen Durchschnitt liegt, hat man sich gegen einen weiteren Feiertag mit Händen und Füßen gesträubt. Im Einzelhandel ist der Karfreitag besonders verkaufsstark, und gegen den Vorschlag, den Pfingstmontag gegen den Karfreitag einzutauschen, ist die Tourismusbranche Sturm gelaufen. So hat die Regierung den Karfreitag als protestantischen Feiertag auf dem Altar von Wirtschaft und Konsum geopfert.

Besonders lautstark und peinlich hat sich in der Nationalratsdebatte – obwohl selbst evangelisch – Arbeits- und Sozialministerin Beate Hartinger-Klein hervorgetan. Mit sich überschlagender Stimme herrschte sie die Opposition an: “Wer schafft die Arbeit? Wer schafft die Arbeit? Wer schafft die Arbeit? Na sorry, die Wirtschaft schafft die Arbeit! Bitte merkts euch das einmal!”

Mehr Urlaubstage statt religiöser Feiertage?

Kaum hatte die Regierungskoalition die Abschaffung des Karfreitags in der bisherigen Form beschlossen, legte der Chef der österreichischen Industriellenvereinigung, Georg Kapsch, nach. Künftig sollte es nach seinen Plänen gar keine religiösen Feiertage mehr geben, dafür allerdings mehr Urlaubstage. Die Menschen könnten dann selbst entscheiden, ob sie zu religiösen Festen freinehmen wollen oder nicht.

Die Kanzlerpartei ÖVP hat dieser Idee zwar erst einmal eine Abfuhr erteilt, aber selbst den Weg in diese Richtung geöffnet. Ausgerechnet der Karfreitag ist damit zu einem Symbol für den fortgesetzten Prozess der Privatisierung von Religion geworden, die gleichermaßen eine Folge der Säkularisierung der Gesellschaft wie der Pluralisierung der religiösen Landschaft geworden ist. In Österreich leben inzwischen weit mehr als doppelt so viele Muslime wie Protestanten. Diesen will aber die derzeitige rechts-konservative Regierung unter keinen Umständen einen Feiertag zugestehen. Doch wenn Religion zur reinen Privatsache erklärt wird, mündet das in einen Laizismus à la Frankreich, der in Österreich gegenüber der bisherigen Präsenz von Religion im öffentlichen Raum einem Kulturbruch gleichkäme.

Allerdings müssen sich auch die evangelischen Kirchen fragen lassen, ob ihre Strategie im politischen Poker professionell genug war. Der Journalist Udo Bachmair will zudem “Revanchegelüste gegenüber einer Minderheitskirche, die sich immer wieder auch regierungskritisch zu menschenrechtlich bedenklichen Erscheinungen geäußert hat” nicht ausschließen. Davon abgesehen ist es den evangelischen Kirchen offenbar nicht ausreichend gelungen, den religiösen Inhalt des Karfreitags für die heutige Zeit so verständlich zu machen, dass er als bleibender Wert für die Gesellschaft im Ganzen einleuchtet. Nur auf Minderheitenrechte zu pochen und zu versichern, für Evangelische sei der Karfreitag der höchste Feiertag, genügt in einer religiös und weltanschaulich pluralen Gesellschaft nicht mehr.

Eigentlich ist es doch sonderbar: In einem Land, wo in öffentlichen Gebäuden – in Kindergärten, Klassenzimmern und Gerichtssälen –  Kruzifixe als Symbol für die grundlegenden Werte der Gesellschaft und des Staates vorhanden sind, ist ausgerechnet jener Tag, der wie kein anderer den Ursprung und eigentlichen Sinn dieses Symbols verdeutlicht, für die Bevölkerungsmehrheit ein Arbeitstag. Das Kreuz steht für die bedingungslose Würde aller Menschen, insbesondere der Bedürftigen und Schwachen, und für eine Kultur der Barmherzigkeit und der Mitmenschlichkeit. Das sind wesentliche Grundlagen einer humanen Gesellschaft, welche die Realität des Leidens nicht verdrängt, an die der gekreuzigte Christus uns erinnert. Er ruft dazu auf, Leidenden beizustehen, aber auch dazu, Leid in all seinen Erscheinungsformen entgegenzutreten.  Wem es damit ernst ist, der sollte für den Karfreitag als gesetzlichen Feiertag für alle eintreten. So wichtig es ist, Arbeit zu schaffen (hoffentlich eine solche, von der Menschen auskömmlich und in Würde leben können): Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!

AUTOR
Ulrich Körtner, geb. 1957, lehrt als Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Er ist Direktor des Instituts für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie sowie des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien.